Ein klarer Tag von Carys Davies
Ein klarer Tag von Carys Davies
Rating: 7/10
Inhalt:
Es ist ein kalter Sommertag 1843, als John Ferguson nach einer stürmischen Überfahrt die kleine, karge Insel im Nordmeer erreicht. Für einen Monat ist der verarmte Pfarrer von der schottischen Freikirche hierhergeschickt worden, um Ivar, den letzten verbliebenen Bewohner, von der Insel wegzuschaffen. Im Auftrag des Gutsbesitzers soll er den großen, stillen Mann samt seinen wenigen Habseligkeiten mit dem nächsten Schiff nach Aberdeen bringen, von seinem Zuhause verjagen. So wie all die Schafbauern in den Highlands, die im Zuge der »Clearances« bereits alles verloren haben. Trotz moralischer Bedenken hat der idealistische Ferguson diesen Auftrag angenommen. Seine Frau Mary indes befürchtet, dass ihr Mann nicht von dieser Reise zurückkehren könnte. Zu naiv, zu weltfremd, zu gutgläubig ist er. Und tatsächlich stürzt Ferguson schon kurz nach seiner Ankunft von einer Klippe und verletzt sich schwer. Er ist dem Mann ausgeliefert, den er von dem Eiland vertreiben soll. Und dessen Güte Fergusons Gewissen vor eine schwierige Entscheidung stellt.
Review:
„Ein klarer Tag“ von Carys Davies ist ein leises, atmosphärisch dichtes Werk, das einen in das Schottland der 1840er Jahre entführt – eine Zeit der tiefgreifenden Veränderungen und Entwurzelungen. Im Zentrum der Erzählung stehen Reverend John Ferguson, seine Frau Mary und der einsame Inselbewohner Ivar. Die Geschichte entfaltet sich in einer Zeit, in der die schottischen "Clearances" auf ihrem Höhepunkt sind – brutale Zwangsräumungen, die die ländliche Bevölkerung zugunsten der Landwirtschaft und Viehzucht von ihrem Land vertreiben.
Davies gelingt es meisterhaft, die düstere Schönheit der schottischen Landschaft und die innere Zerrissenheit ihrer Figuren zu porträtieren. John, ein armer Pfarrer, nimmt einen Auftrag an, der ihn auf eine abgelegene Insel führt, wo er den letzten verbliebenen Bewohner, Ivar, vertreiben soll. Doch ein Unfall ändert alles: Ivar findet den verletzten John und pflegt ihn, ohne die wahren Absichten seines Gastes zu kennen. In der erzwungenen Nähe entwickelt sich eine fragile, wortlose Verbindung zwischen den beiden Männern, die tief unter die Haut geht. John steht vor einem moralischen Dilemma, das ihn zwingt, seine Mission und seine Überzeugungen infrage zu stellen.
Die Stärke des Romans liegt in seiner Fähigkeit, die Isolation und Einsamkeit der Figuren greifbar zu machen, während Davies gleichzeitig die Nuancen menschlicher Verbundenheit auslotet. Die Erzählung wechselt geschickt zwischen den Perspektiven von John, Mary und Ivar, was den Lesern erlaubt, die innere Welt jedes Charakters zu erkunden. Besonders beeindruckend ist, wie Davies es schafft, trotz der Sprachbarrieren zwischen John und Ivar eine tiefe emotionale Kommunikation darzustellen.
Allerdings könnte der langsame Erzählrhythmus und die ausführlichen Naturschilderungen nicht jedermanns Geschmack treffen. Während einige Leser die detailreiche Darstellung der Landschaft als atmosphärische Untermalung schätzen, könnten andere sie als zu ausufernd empfinden. Auch das überraschende Ende des Romans mag polarisieren, da es nicht vollständig überzeugend ist.
Nichtsdestotrotz ist „Ein klarer Tag“ ein bemerkenswertes Werk, das lange nachklingt. Davies' reduzierte, aber präzise Prosa und ihre Fähigkeit, die leisen Töne des menschlichen Daseins einzufangen, machen diesen Roman zu einem literarischen Erlebnis. Es ist eine Geschichte über Einsamkeit, Mitgefühl und die komplexe Natur menschlicher Beziehungen – getragen von einer poetischen Erzählweise, die den Leser tief in die raue Schönheit der schottischen Highlands eintauchen lässt. Ein Buch, das sich in seiner stillen Intensität entfaltet und noch lange nach der letzten Seite im Gedächtnis bleibt.
Ein klarer Tag von Carys Davies
Reviewed by Darkybald
on
Dienstag, September 10, 2024
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