Old Surehand II von Karl May
Old Surehand II von Karl May
"Ein Abenteuer, das sich selbst im Kreis dreht"
Rating: 6/10
Inhalt:
Nach Überwindung vieler Gefahren lichtet sich nun das Dunkel um Old Surehands Vergangenheit. Old Shatterhand und Winnetou ziehen mit ihren Begleitern, unter ihnen die Verkehrten Toasts Dick Hammerdull und Pitt Holbers, hinauf ins Felsengebirge, wo alle Fäden zusammenlaufen. Old Surehand II ist die Fortsetzung von Old Surehand I (Band 14).
Review:
Karl Mays "Old Surehand II" ist ein literarisches Biotop voller Überraschungen – und nicht alle davon sind angenehm. Man hat das Gefühl, May setze hier alles daran, seine Leser auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitzunehmen, nur um ihnen dann einen langen Aufenthalt in der Warteschleife zu spendieren. Die Fortsetzung des ersten Bandes lässt vieles, was man sich wünscht, vermissen und legt stattdessen eine Fährte, die sich zäh durch die Weiten des Wilden Westens zieht.
Natürlich, Karl May bleibt Karl May. Seine Helden erstrahlen in moralischer Makellosigkeit, während seine Schurken sich mit fast kindlicher Beharrlichkeit dem Bösen verschreiben. Das ist durchaus charmant, wenn auch vorhersehbar. Old Surehand und Old Wabble sind keine Abziehbilder, sondern Männer, die die Narben des Lebens tragen – einer endet tragisch, der andere lüftet das Mysterium seiner Herkunft. In diesen Momenten gelingt es May, die Grenze zur banalen Abenteuerliteratur zu überschreiten und einen Hauch existenzieller Tiefe zu vermitteln.
Doch dann gibt es Dick Hammerdull und Pitt Holbers. Wenn diese beiden Herren in ihre repetitiven Dialoge verfallen, hat man das Gefühl, unfreiwillig einer endlosen Radioschleife beizuwohnen. Was vielleicht im ausgehenden 19. Jahrhundert für Heiterkeit sorgte, wirkt heute wie eine nicht enden wollende Comedy-Nummer, die ihren Reiz nach der dritten Wiederholung verliert.
Strukturell hängt der Roman gelegentlich in der Luft. Die Handlung zieht sich in die Länge, weil die Antagonisten immer wieder entkommen, nur um 30 Seiten später erneut aufzutauchen. Old Shatterhand lässt die Bösewichte zu oft laufen, was zwar seinem Ehrenkodex entspricht, dem Spannungsbogen aber wenig hilft.
Und doch – May bleibt ein begnadeter Erzähler. Seine Naturbeschreibungen sind von atemberaubender Schönheit. Man sieht die Sonnenuntergänge über der Prärie und hört das Echo in den Rocky Mountains. Philosophische und religiöse Reflexionen durchziehen das Werk wie unsichtbare Fäden und verleihen ihm eine Gravitas, die man nicht erwartet. May predigt nicht, er verpackt die großen Fragen der Menschheit in spannende Dialoge und lässt den Leser nachdenklich zurück.
Das Finale in Colorado ist dann das, was man erwartet: Pathos, Drama und ein Showdown, der alle losen Enden verknüpft. Die Auflösung der Familiengeschichte um Old Surehand ist überaus zufriedenstellend, auch wenn man dem Ganzen eine Prise weniger Überhöhung gegönnt hätte.
Unterm Strich ist "Old Surehand II" ein Roman, der in seiner Mischung aus epischer Erzählkunst und ermüdender Redundanz polarisiert. Wer May liebt, wird sich auch hier wiederfinden, mit all seinen Vorzügen und Schwächen. Wer May noch nicht kennt, sollte sich vielleicht erst an den "Schatz im Silbersee" wagen. Aber seien wir ehrlich: Karl May ist auch dann noch lesenswert, wenn er sich gelegentlich selbst im Wege steht.
Old Surehand II von Karl May
Reviewed by Darkybald
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Sonntag, Januar 05, 2025
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