Die Legende von John Grisham

Die Legende von John Grisham



Seiten: 384
Verlag: Heyne
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3453273176
Amazon: Amazon.de








"John Grisham erzählt gegen das Vergessen – und trifft ins Herz"

Rating: 8/10


Inhalt:

Die Schriftstellerin Mercer Mann sucht nach einer packenden Geschichte für ihren nächsten Roman. Da macht sie Bruce Cable, der charmante Buchhändler von Camino Island, auf ein Drama aufmerksam, das sich quasi direkt vor ihren Augen abspielt: Ein skrupelloses Bauunternehmen will sich eine verlassene Insel zwischen Florida und Georgia unter den Nagel reißen. Nur die letzte Bewohnerin der Insel, Lovely Jackson, stellt sich ihm in den Weg. Sie ist die Nachfahrin entflohener Sklaven, die dort seit Jahrhunderten gelebt haben, und will die Insel niemals profitgierigen Weißen überlassen. Mit Bruce Cables Hilfe nimmt sie den Kampf vor Gericht auf. Und vielleicht hilft ihr ja auch die alte Legende, dass jeder Weiße, der die Insel böswillig betritt, mit einem tödlichen Fluch belegt ist. Denn schon bald gibt es die ersten Toten …

Review:

John Grisham ist zurück – und zwar nicht als Advokat des Hochspannungsthrillers, sondern als Chronist einer Vergangenheit, die nie wirklich vergangen ist. Die Legende heißt der dritte Band seiner Camino -Reihe im Deutschen, und selten war ein Titel so treffend wie irreführend zugleich. Denn es geht hier nicht um eine Figur, die durch Heldentaten unsterblich wurde, sondern um eine Frau, deren bloßes Überleben zum Akt des Widerstands wurde: Lovely Jackson – 84 Jahre alt, geboren auf einer Insel, die einst den Namen Dark Isle trug und heute nur noch eine leere Fläche auf der Landkarte für Investoren ist. Eine Insel mit Geschichte, mit Geistern, mit Blut im Sand.

Grisham erzählt diese Geschichte mit der Routine eines Mannes, der weiß, wie man Leser bei der Stange hält, aber auch mit einer überraschenden Ernsthaftigkeit. Es geht nicht um einen Mord, nicht um eine Verschwörung, sondern um Besitz, Herkunft, und das, was man Erinnerung nennt, wenn man sich weigert, sie löschen zu lassen. Die Handlung ist schnell erzählt: Lovely erhebt Anspruch auf Dark Isle, das von skrupellosen Immobilienhaien in ein Resortparadies verwandelt werden soll. Mercer Mann, einst Literaturdozentin und mittlerweile selbst Autorin, soll Lovelys Geschichte aufschreiben – als Zeugnis, als Waffe, als Akt der Verteidigung. Unterstützt wird sie dabei von Bruce Cable, dem eigensinnigen Buchhändler von Camino Island, sowie einem gealterten Anwaltspaar, das den Kampf gegen das Unvermeidliche dennoch aufnimmt.

Der Roman lebt nicht von Tempo, sondern von Ton. Grisham ist kein Literat im klassischen Sinn, aber er ist ein glänzender Erzähler – und manchmal ist das mehr wert. In Die Legende erlaubt er sich etwas, das man selten von ihm sieht: Geduld. Die Rückblicke auf das Leben auf Dark Isle, auf die Herkunft der ersten Geflüchteten, auf das entbehrungsreiche Leben einer isolierten Gemeinschaft, gehören zu den stärksten Passagen des Buches. Hier wird aus Grishams juristischer Stimme plötzlich ein Erzähler, der zuhören kann – der Raum lässt, statt zu drängen. Und wer sich auf dieses langsame Entfalten einlässt, wird belohnt mit einer Geschichte, die unter die Haut geht.

Natürlich ist Die Legende auch ein politisches Buch, aber es trägt seine Haltung nicht wie ein Banner vor sich her. Grisham zeigt, was geschieht, wenn Geschichte privatisiert wird, wenn die Stimmen der Marginalisierten zum Flüstern reduziert werden – und was es kostet, dagegen anzuschreiben. Lovely Jackson ist keine Symbolfigur, sondern ein Mensch, der sich nicht abfinden will. Gerade weil sie leise ist, hat sie Gewicht. Und genau das macht sie zur Titelfigur: nicht wegen irgendwelcher Taten, sondern weil sie aushält, überlebt, weitergibt.

Dass Grisham gegen Ende doch noch einmal das Tempo anzieht, gehört zu seinem Handwerk. Und er tut gut daran, denn das Finale – melancholisch, aufwühlend, geradezu zärtlich – verleiht dem Roman jene emotionale Gravitation, die manch frühe Szene vermissen lässt. Die Gerichtsverhandlung, die Medien, die Gegner – all das kennt man aus seinem Werk. Aber was Die Legende besonders macht, ist nicht das Verfahren, sondern das, was davor liegt. Die Stille. Die Geschichten. Die Erinnerung.

Kurzum: Dies ist nicht Grishams packendster Roman – aber vielleicht einer seiner wichtigsten. Wer Spannung sucht, wird sie finden. Wer Tiefe sucht, wird überrascht sein. Und wer glaubt, in der dritten Ausgabe einer Romanreihe gäbe es nichts Neues mehr zu sagen, sollte Die Legende lesen. Wegen Lovely. Wegen Dark Isle. Wegen der Frage, wem Geschichte gehört – und wer das Recht hat, sie zu erzählen.

Die Legende von John Grisham Die Legende von John Grisham Reviewed by Darkybald on Sonntag, April 06, 2025 Rating: 5

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