Old Surehand I von Karl May

Old Surehand I von Karl May



Seiten: 480
Verlag: Karl-May-Verlag Lothar Schmid GmbH
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3780211149
Amazon: Amazon.de








Rating: 6/10


Inhalt:

Mit der Hilfe von Old Wabble, dem 'König der Cowboys', will Old Shatterhand den geheimnisvollen Westmann Old Surehand aus den Händen feindlicher Indianer befreien. Später gesellt sich Winnetou zu ihnen. Im 'Llano Estacado' kommt es dann zu einer schicksalhaften Begegnung.

Review:

Karl Mays "Old Surehand 1" ist ein Roman, der eine komplexe Mischung aus Abenteuer, moralischen Reflexionen und einer eigenwilligen Charakterzeichnung darstellt. Der Titelheld, Old Surehand, erscheint überraschenderweise nur am Rande, während Old Shatterhand, der fiktive Alter Ego des Autors, den Großteil der Erzählung dominiert. Dies ist auch gleichzeitig mein zentraler Kritikpunkt: Der namensgebende Protagonist bleibt lange im Hintergrund, was zunächst Erwartungen enttäuscht, aber gleichzeitig Raum für die Entwicklung anderer Handlungsstränge lässt.

Die Handlung selbst ist in der für Karl May typischen Westernlandschaft verankert – weite Steppen, Indianerstämme, und eine moralisch idealisierte Wildwest-Welt, in der Gut und Böse scharf getrennt werden. May nutzt das Setting jedoch weniger, um actiongeladene Szenen zu inszenieren, sondern vielmehr, um Dialoge über Menschlichkeit, Religion und Rassismus zu führen. Die Auseinandersetzungen mit den Comanchen sowie die Rettung eines westlichen Helden wie Bloody Fox bieten zwar den Rahmen für Abenteuer, doch werden blutige Schlachten stets zugunsten von Verhandlungen und strategischem Vorgehen vermieden. Dies mag für Fans typischer Western eher unbefriedigend sein, da die Spannung häufig von langen Gesprächen abgelöst wird. Doch gerade hierin liegt auch eine Stärke: Die klugen, wenn auch teilweise pathetischen, moralischen Überlegungen Mays prägen die Handlung tiefgehend.

Die Charaktere sind typisch für Mays Werke: Old Shatterhand, der übermenschlich perfekte Held, der alles richtig macht, jede Herausforderung meistert und stets die moralische Überlegenheit des "weißen Mannes" verkörpert. Winnetou, sein "roter Bruder", ist ebenso idealisiert, doch ihre Beziehung bleibt der emotionale Kern der Erzählung. In "Old Surehand 1" tritt jedoch eine weitere interessante Figur auf: Old Wabble, ein atheistisch-rasistischer Cowboy, der in seinen Dialogen mit Shatterhand zum Sprachrohr kontroverser Zeitansichten wird. Mays Versuch, hier moralische Klarheit zu schaffen, indem er rassistische und religiöse Vorurteile thematisiert und durch Old Shatterhand widerlegt, wirkt teils belehrend, teils mutig für die damalige Zeit.

Jedoch zeigt sich gerade in diesen Debatten Mays problematische, manchmal widersprüchliche Haltung zum Rassismus. Einerseits wird Old Shatterhand als Kämpfer gegen Vorurteile dargestellt, wenn er Old Wabbles rassistische Ansichten über Schwarze herausfordert. Andererseits bleibt der schwarze Charakter Bob, trotz Shatterhands wohlmeinender Verteidigung, stark stereotypisiert und karikiert, was den Eindruck einer inkonsequenten, eurozentrischen Weltanschauung verstärkt. Diese Diskrepanz zwischen der moralischen Botschaft und der eigentlichen Darstellung lässt die tiefere Auseinandersetzung mit Mays Werk heute problematisch erscheinen.

Ein Highlight des Buches ist zweifellos die geheimnisvolle Figur des Old Surehand selbst. Obwohl er im ersten Band nur spärlich auftritt, deutet May auf ein komplexes Mysterium um seine Vergangenheit hin, das Leser neugierig auf die Fortsetzung macht. Zudem verweben sich verschiedene Handlungsebenen, wie die Suche nach der verschwundenen Waffe von Shatterhand und Winnetou, geschickt zu einem erzählerischen Netz, das bis zum Ende des Buches viele Fragen offenlässt.

Stilistisch bleibt Karl May seiner typischen, eher ausschweifenden und detailverliebten Erzählweise treu, die für manche Leser ermüdend, für andere nostalgisch und atmosphärisch wirken kann. Wer auf packende, actionreiche Western hofft, wird hier nicht fündig. Vielmehr stehen philosophische und religiöse Dialoge im Vordergrund, die den Roman zu einem moralischen Epos stilisieren – und gerade darin liegt auch seine Stärke. Mays Idealfiguren, die für eine bessere, friedlichere Welt kämpfen, wirken in einer zunehmend zynischen Gegenwart fast wie ein Appell an die Menschlichkeit.

Fazit:
"Old Surehand 1" ist nicht das, was der Titel verspricht – es ist weniger die Geschichte von Old Surehand als vielmehr eine weitere Erzählung über Old Shatterhand und seine moralische Überlegenheit. Dennoch bietet das Buch viel Tiefe in den Bereichen menschlicher Werte, Glauben und Gerechtigkeit. Karl May gelingt es, die Leser zum Nachdenken über Rassismus und Vorurteile anzuregen, auch wenn er sich gelegentlich in den Widersprüchen seiner eigenen Ideale verfängt. Wer bereit ist, sich auf einen philosophisch angehauchten Western einzulassen, wird in diesem Roman reichlich fündig – alle anderen könnten von den ausufernden Dialogen eher abgeschreckt werden.
Old Surehand I von Karl May Old Surehand I von Karl May Reviewed by Darkybald on Mittwoch, Oktober 09, 2024 Rating: 5

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