Beklaute Frauen von Leonie Schöler
Beklaute Frauen von Leonie Schöler
Rating: 7/10
Inhalt:
Muse, Sekretärin, Ehefrau – es gibt viele Bezeichnungen für Frauen, deren Einfluss aus der Geschichte radiert wurde. Für deren Leistungen Männer die Auszeichnungen und den Beifall bekamen: Wissenschaftlerinnen, deren Errungenschaften, im Gegensatz zu denen ihrer männlichen Kollegen, nicht anerkannt wurden. Autorinnen, die sich hinter männlichen Pseudonymen versteckten. Oder Künstlerinnen, die im Schatten ihrer Ehemänner in Vergessenheit geraten sind. Lebendig und unterhaltsam erzählt die Historikerin Leonie Schöler ihre Geschichten, sie zeigt, wer die Frauen sind, die unsere Gesellschaft bis heute wirklich vorangebracht haben. Und sie verdeutlicht, wie wichtig die Diskussion um Teilhabe und Sichtbarkeit ist. Dabei wird klar: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält. Mit zahlreichen Abbildungen und Infokästen
Review:
Leonie Schölers „Beklaute Frauen“ ist ein Buch, das sich mit der jahrhundertelangen Unsichtbarkeit weiblicher Errungenschaften beschäftigt – und dabei gleichzeitig einen wütenden wie bestärkenden Ton anschlägt. Sie greift nicht nur auf eine Fülle an historischen Beispielen zurück, sondern eröffnet auch den Blick auf gegenwärtige Strukturen der Ungleichheit. Was auf den ersten Blick wie eine historische Bestandsaufnahme wirkt, erweist sich als ein kraftvoller Appell zur Überprüfung unserer Wahrnehmungen von Leistung, Anerkennung und Machtverhältnissen.
Schon zu Beginn des Buches wird klar: Schöler hat gründlich recherchiert. Sie nimmt den Leser mit auf eine Reise von der Steinzeit bis in die Gegenwart, wobei sie anhand konkreter, oft erschütternder Beispiele zeigt, wie Frauen immer wieder aus der Geschichtsschreibung verdrängt wurden. Besonders eindrucksvoll gelingt ihr dies bei der Darstellung von Rosalind Franklin, deren bahnbrechende Arbeiten zur DNA-Struktur von ihren männlichen Kollegen gestohlen und mit dem Nobelpreis belohnt wurden – eine Geschichte, die gleichermaßen frustrierend wie exemplarisch für das zentrale Thema des Buches steht.
Die Stärke von „Beklaute Frauen“ liegt in Schölers Fähigkeit, diese historischen Ungerechtigkeiten in den heutigen Kontext zu übertragen. Ihre Analyse der Gender-Gaps und der subtilen Mechanismen, die Frauen auch heute noch an der vollen gesellschaftlichen Teilhabe hindern, ist nicht nur treffend, sondern wirkt wie ein Schlag ins Gesicht jener, die Gleichstellung für ein erreichtes Ziel halten. Die Autorin argumentiert überzeugend, dass es sich hierbei nicht um Fehlentwicklungen handelt, sondern um systematische Ausbeutungsstrukturen, die tief im Kapitalismus und in patriarchalen Gesellschaftsformen verankert sind.
Dennoch wird das Buch nicht zur bloßen Anklageschrift. Schöler erzählt von starken Frauen, die trotz aller Widrigkeiten Großes geleistet haben. Sie lässt uns teilhaben an den Biografien von Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen und Revolutionärinnen, deren Namen heute zu Unrecht im Schatten der Geschichte stehen. Diese Porträts sind es, die dem Buch eine emotionale Tiefe verleihen, die über bloße Fakten hinausgeht – sie zeigen die Widerstandskraft und Entschlossenheit dieser Frauen, deren Leistungen bis heute von unschätzbarem Wert sind.
Trotz aller Stärken hat das Buch jedoch auch Schwächen. Die strukturierte Gliederung – mal nach Zeitabschnitten, mal nach Themenfeldern wie Wissenschaft oder Ehe – führt zu teils sprunghaften Übergängen. Schölers gelegentliche Abschweifungen von den Kernbeispielen, etwa wenn sie aktuelle gesellschaftliche Debatten einstreut, mögen zwar thematisch relevant sein, wirken jedoch bisweilen überflüssig und lenken vom eigentlichen Thema ab. Es fehlt mitunter der klare rote Faden, der das Buch zu einer stringenten Erzählung machen könnte.
Ein weiterer Kritikpunkt liegt in der manchmal überdeutlichen Positionierung der Autorin. An manchen Stellen, etwa bei der Analyse von Ehe und Familienstrukturen, verliert sich Schöler in Wertungen, die die differenzierte Sachlichkeit des Buches verwässern. Das ist besonders schade, weil ihre Argumente an sich stark genug sind, um die Leserschaft ohne derartige Zuspitzungen zu überzeugen.
Ungeachtet dieser Mängel bleibt „Beklaute Frauen“ ein überaus wichtiges Werk, das nicht nur historisches Wissen vermittelt, sondern zum Nachdenken über heutige Geschlechterverhältnisse anregt. Schöler hat ein Buch geschaffen, das eine lange überfällige Sichtbarmachung der Leistungen von Frauen liefert – und uns gleichzeitig dazu zwingt, die Strukturen zu hinterfragen, die diese Unsichtbarkeit überhaupt erst möglich gemacht haben.
Abgerundet wird der Text durch zahlreiche Quellenangaben und Literaturhinweise, die den wissenschaftlichen Anspruch des Buches unterstreichen und dem Leser ermöglichen, sich weiter mit den behandelten Themen auseinanderzusetzen. Es ist ein Buch, das wütend macht, aber auch stolz – eine Mischung, die selten so gut funktioniert wie hier.
Fazit:
„Beklaute Frauen“ ist eine aufrüttelnde und tiefgründige Untersuchung der Rolle der Frau in der Geschichte. Schöler gelingt es, historische Beispiele geschickt mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zu verknüpfen, auch wenn der klare rote Faden manchmal verloren geht. Trotz kleinerer Schwächen bleibt das Buch eine dringliche Lektüre für alle, die die Geschichte aus einer anderen, längst überfälligen Perspektive betrachten möchten.
Beklaute Frauen von Leonie Schöler
Reviewed by Darkybald
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Montag, Oktober 07, 2024
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