Unendlichkeit von Alastair Reynolds

Unendlichkeit von Alastair Reynolds



Seiten: 800
Verlag: Heyne
Sprache: Deutsch
ISBN-10:3453323475
Amazon: Amazon.de








Kalte Realität im All – Reynolds' düstere Space Opera

Rating: 7/10


Inhalt:

Wir schreiben das Jahr 2551. Archäologe Dan Sylveste macht auf dem lebensfeindlichen Planeten Resurgam im Delta-Pavonis-System eine ungeheure Entdeckung: Eine hochtechnisierte Zivilisation, die Amarantin, lebte einst hier, doch bevor sie die bemannte Raumfahrt entwickelte, wurde sie vernichtet. War es eine unglückliche Katastrophe, oder steckt eine andere, feindliche Intelligenz dahinter? Eine Intelligenz, die eines Tages auch den Menschen gefährlich werden könnte? Um das herauszufinden, lässt sich Sylveste auf einen gefährlichen Deal mit der Cyborg-Crew des Raumschiffs Sehnsucht nach Unendlichkeit ein. Doch je näher er der Lösung des Rätsels kommt, desto größer wird die Gefahr, in der er und die Schiffscrew schweben. Denn die Amarantin wurden aus einem bestimmten Grund vernichtet, und wenn dieses Geheimnis ans Licht kommt, wird es unser Universum für immer verändern …

Review:

Alastair Reynolds hat mit Unendlichkeit eine Space Opera geschaffen, die all jene Lügen straft, die Science-Fiction als naive Märchenstunde für Technikverliebte abtun. Dieses Buch ist das Gegenteil einer verklärten Zukunftsvision – es ist die gnadenlose Demontage der Illusion, dass der Weltraum uns eine zweite Chance böte. Stattdessen ist das Universum ein kalter, feindlicher Ort, in dem Menschen nicht triumphieren, sondern sich bestenfalls durchwinden.

Schon nach wenigen Seiten wird klar, dass Reynolds eine einzigartige Mischung aus wissenschaftlicher Akribie und literarischem Nihilismus beherrscht. Seine Welt ist erbarmungslos: Raumschiffe, die mit annähernder Lichtgeschwindigkeit operieren, sind keine glänzenden Kreuzfahrtschiffe, sondern knirschende, von Seuchen zerfressene Kolosse. Kulturelle Dekadenz zeigt sich nicht in glanzvollen Metropolen, sondern in perversen Spielen, in denen Attentate zum gesellschaftlichen Zeitvertreib gehören. Und natürlich gibt es ein zentrales Rätsel: Was ist mit den Amarantin geschehen, der Alien-Spezies, die kurz vor ihrem Aufbruch zu den Sternen ausgelöscht wurde? Diese Frage ist die treibende Obsession des Protagonisten Dan Sylveste, eines Wissenschaftlers von solch arroganter Selbstüberschätzung, dass man ihm einerseits bewundernd folgen möchte und andererseits wünscht, ihm würde jemand eine Ohrfeige verpassen.

Aber das ist es, was Reynolds kann: Er zwingt uns, mit Figuren Zeit zu verbringen, die weder liebenswert noch moralisch integer sind. Ob es die gnadenlose Munitionsmeisterin Ilia Volyova ist, die mit einem tödlichen Arsenal hantiert, oder Ana Khouri, eine Auftragsmörderin mit einer nebulösen Agenda – sie alle existieren in einem moralischen Graubereich, der keine Identifikation, sondern nur Faszination zulässt. Und dann ist da noch der Captain der Sehnsucht nach Unendlichkeit, eine groteske Monstrosität aus Mensch und Maschine, ein Fiebertraum aus verschmolzenem Fleisch und Metall.

Reynolds’ wissenschaftlicher Hintergrund ist nicht zu übersehen. Hier wird kein Pseudogeschwafel über Hyperraumreisen abgeliefert, sondern harte Physik. Wer Schwierigkeiten mit Fachbegriffen hat, wird sich mühen müssen, doch für alle, die wissenschaftliche Präzision in der Science-Fiction schätzen, ist Unendlichkeit ein Fest. Die langsame Erzählweise, die komplexen Zeitsprünge und die detaillierte Beschreibung von Technologien verlangen Konzentration, aber genau darin liegt der Reiz: Dies ist kein Buch für Ungeduldige, sondern für Leser, die bereit sind, sich auf eine intellektuelle Herausforderung einzulassen.

Und doch, bei aller Brillanz, bleibt Unendlichkeit nicht ohne Makel. Die Erzählstruktur kann zäh sein, einige Passagen sind übermäßig detailliert, und es fehlt manchmal an erzählerischer Ökonomie. Zudem sind Reynolds’ Charaktere oft so kühl wie der Kosmos selbst – wer emotionale Wärme sucht, sollte lieber zu Iain M. Banks greifen. Aber genau hier liegt auch die Stärke dieses Romans: Er nimmt keine Rücksicht, er biedert sich nicht an, er verlangt etwas von seinem Leser.

Wer sich auf Unendlichkeit einlässt, bekommt keine strahlenden Helden, sondern eine düstere, grandios konstruierte Welt, in der die Zukunft nicht leuchtet, sondern erdrückt. Es ist harte Science-Fiction in ihrer reinsten Form – anspruchsvoll, fordernd und in ihrer Kälte erschreckend überzeugend. Ein Buch für jene, die bereit sind, sich zu fragen, ob die Zukunft wirklich ein Versprechen ist – oder doch eher eine Warnung.

Unendlichkeit von Alastair Reynolds Unendlichkeit von Alastair Reynolds Reviewed by Darkybald on Mittwoch, März 05, 2025 Rating: 5

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