All das Blaue vom Himmel von Mélissa da Costa
All das Blaue vom Himmel von Mélissa da Costa
Rührend, beharrlich, unverschämt gefühlig
Inhalt:
Begleitung für letzte Reise gesucht.« Diese Anzeige gibt der 26-jährige Emile auf, als er eine unheilbare Diagnose bekommt. Seine letzten Monate möchte er nicht in Krankenhäusern verbringen, sondern in der Natur und in Freiheit. Zu seinem eigenen Erstaunen meldet sich Joanne auf seine Anzeige. Über ihre Gründe schweigt die junge Frau mit dem schwarzen Hut und nur einem Rucksack als Gepäck. Und so steigen beide in Emiles alten Caravan und fahren los. Es beginnt eine verblüffend schöne Reise, durch das mystische Gebirgsmassiv der Pyrenäen – eine Reise zu sich selbst, zu den Wurzeln des eigenen Schmerzes, aber auch eine Reise zur eigenen Kraft und zur eigenen Hoffnung …
Eine einfühlsame und zutiefst berührende Geschichte darüber, wie uns die Natur und die Stille dabei helfen, zu uns selbst zu finden und zu heilen. Dieser Roman katapultierte Mélissa Da Costa aus dem Selfpublishing in die erste Riege der erfolgreichsten Autor*innen Frankreichs.
Review:
Manchmal kommt ein Buch daher, das so sehr auf die Tränendrüsen zielt, dass man fast versucht ist, es vorsorglich mit Gummihandschuhen anzufassen. Mélissa Da Costas All das Blaue vom Himmel ist so ein Roman. Er erzählt die Geschichte von Émile, 26, dem eine seltene Form von Alzheimer diagnostiziert wird – und der statt im Pflegeheim lieber im Wohnmobil den Countdown seines Lebens herunterzählt. An seiner Seite: Joanne, die sich als Weggefährtin bewirbt, obwohl sie selbst ein Päckchen zu tragen hat.
Schon nach den ersten Kapiteln wird klar: Dieses Buch will mehr als bloß unterhalten. Es will uns Leser therapieren, uns den Wert des Moments einbläuen, uns zeigen, dass auch der Tod am Ende nur eine Etappe ist. Das alles in einer Prosa, die so entschlossen auf Verständlichkeit setzt, dass sie gelegentlich an therapeutische Ratgeberliteratur erinnert.
Nun könnte man einwenden, das sei legitim: Schließlich geht es um große Themen. Krankheit, Würde, Lebensmut. Doch es gehört zum Handwerk einer Autorin, solche Stoffe zu gestalten, ohne sie in sentimentale Plattitüden absinken zu lassen. Da Costa gelingt das nicht immer. Die Szenen, in denen Émile sein Gedächtnis verliert, sind bewegend – aber manchmal auch so vorhersehbar arrangiert, dass man sie förmlich in Großbuchstaben rufen hört: Bitte hier weinen!
Dabei hat das Buch durchaus seine Stärken. Die langsame Annäherung zwischen Émile und Joanne – von distanzierter Zweckgemeinschaft hin zu einer Art verschrobener Schicksalsgemeinschaft – ist fein beobachtet. Dass die Autorin sich über mehr als 800 Seiten Zeit nimmt, diese Beziehung zu entwickeln, verleiht dem Roman eine Beharrlichkeit, die Respekt verdient. Manchmal wirkt das allerdings wie ein literarischer Selbstversuch in Geduldstraining.
Besonders gelungen sind die Landschaftsbeschreibungen. Da Costa versteht es, die Pyrenäen, die Camargue, die französische Provinz nicht nur als Hintergrund zu zeichnen, sondern als Spiegel der Figuren. Die Natur wird hier zur stillen Chronistin eines Lebens im Schwinden.
Stilistisch bleibt die Autorin ihrem erzählerischen Minimalismus treu. Ihr Ton ist sachlich, klar, wenig verspielt. Das macht den Roman leicht zugänglich, aber eben auch manchmal spröde. Wer literarische Raffinesse sucht, wird bei Autorinnen wie Annie Ernaux oder Patrick Modiano besser bedient.
Aber Gerechtigkeit muss sein: All das Blaue vom Himmel ist ein Buch, das viele Leser tief berührt. Es hat eine universelle Botschaft – dass das Leben, auch wenn es auf dem Rückzug ist, immer noch gelebt werden will. Für Leser, die sich gern rühren lassen, ohne allzu große formale Ansprüche zu stellen, ist das genau die richtige Lektüre.
Mein Fazit:
Ein Roman, der so melancholisch ist wie ein Novembernachmittag in der französischen Provinz – und in seinen besten Momenten genau so schön. Wer bereit ist, sich auf viel Gefühl und ein wenig Kitsch einzulassen, darf sich hier auf eine Reise gefasst machen, die man so schnell nicht vergisst. Alle anderen sollten zumindest Taschentücher bereithalten.












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