Die Deutschen in der Welt von David Blackbourn

Die Deutschen in der Welt von David Blackbourn

Titel des Buches
Seiten: 1008
Verlag: DVA
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3421048894
Kaufen: Amazon.de
Die Welt als Bühne: David Blackbourns kluge Entnationalisierung der deutschen Historie
Bewertung: 7/10 ⭐

Inhalt:

Wer deutsche Geschichte erzählt, bewegt sich zumeist in den Grenzen der Staatsnation, oder konzentriert sich auf die deutsche Gewaltherrschaft und Eroberungsgeschichte des 20. Jahrhundert mit ihren Folgen bis heute. David Blackbourn beweist mit seinem augenöffnenden Buch, wie kurz diese Perspektive greift. Er wählt einen globalen Ansatz und zeigt, wie seit rund fünfhundert Jahren Menschen, Güter, Erfahrungen und neue Ideen aus Deutschland in vielfältiger Weise mit der ganzen Welt verbunden waren. Blackbourn blickt nach Amerika und Asien, nach Afrika und ins restliche Europa, er erzählt Geschichten von Händlern und Missionarinnen, von Siedlern und Wissenschaftlerinnen, Entdeckern, Denkern und Söldnern. Ein überraschender, grandios erzählter neuer Blick auf Deutschland, der zeigt, dass man nicht nur eine Weltgeschichte der Spanier, der Franzosen oder der Engländer schreiben kann – sondern auch eine faszinierende deutsche Geschichte aus globaler Sicht.

Review:

David Blackbourns Die Deutschen in der Welt ist ein Buch, das dem deutschen Leser mit entwaffnender Eleganz zeigt, was er über seine eigene Geschichte möglicherweise nie gelernt hat – oder nie lernen wollte. Dass es ausgerechnet ein britischer Historiker ist, der uns mit analytischer Schärfe und erzählerischer Souveränität vor Augen führt, wie tief Deutschland über Jahrhunderte in globale Prozesse verstrickt war, ist kein Zufall, sondern ein Glücksfall. Es braucht manchmal den Blick von außen, um den blinden Fleck im Innern auszuleuchten.

Blackbourn beginnt im Jahr 1500, aber es ist beileibe keine weitere Fortschreibung des klassischen Nationalnarrativs vom Heiligen Römischen Reich zur Berliner Republik. Stattdessen verlässt er den engen deutschen Tellerrand und folgt den Spuren der Deutschen auf allen Kontinenten – nicht, um ein Denkmal der Auslandstüchtigkeit zu errichten, sondern um ein ehrliches, oft widersprüchliches Bild von Mobilität, Anpassung, Macht und Mitläufertum zu zeichnen. Das ist keine Heldengalerie, sondern ein Kaleidoskop: Kaufleute, Missionare, Abenteurer, Kolonialbeamte, Auswanderer. Menschen, die gingen, um zu suchen – und dabei nicht selten fanden, was sie nie gesucht hatten.

Was an diesem Buch besonders beeindruckt, ist die mühelose Verbindung von großer Geschichte und kleinen Geschichten. Blackbourn erzählt nicht von oben herab, sondern durch die Menschen hindurch. Er macht das Große im Kleinen sichtbar – oder, um es mit Thomas Mann zu sagen: er zeigt die Würde des Details. Natürlich leidet bei einem so weiten historischen Bogen von über fünfhundert Jahren gelegentlich die Balance. Manche Themen – wie die deutsche Rolle in der Europäischen Einigung oder der Erste Weltkrieg – werden überraschend knapp behandelt. Und nicht jeder wird Freude daran haben, wenn ein Kaiser Wilhelm nur einmal beiläufig erwähnt wird, während ein preußischer Emigrant in Südaustralien seitenlang gewürdigt wird. Aber das ist keine Nachlässigkeit, sondern Methode: Wer eine lineare Heldenreise erwartet, wird enttäuscht. Wer bereit ist, Geschichte als Netzwerk zu denken, wird belohnt.

Freilich: Das Buch ist nicht ohne Schwächen. Die Gestaltung ist für ein Werk dieser Bedeutung erstaunlich lieblos geraten – schwarzweiße Fotos, unleserliche Karten, und eine gewisse stilistische Uneinheitlichkeit, wenn Blackbourn gelegentlich ins Persönliche kippt. Aber selbst das hat man schnell verziehen, denn hier schreibt einer, der nicht belehren will, sondern verstehen – und das mit einer Sprache, die angenehm sachlich bleibt, ohne je ins Bleierne abzugleiten.

Am Ende ist Die Deutschen in der Welt kein weiterer Ziegelstein im Fundament deutscher Selbstvergewisserung, sondern ein Spiegel, der zeigt, wie sehr deutsche Identität immer auch eine Geschichte der Durchlässigkeit, der Übersetzung, des Verschwindens war. Wer das als Schwäche begreift, hat dieses Buch nicht verstanden. Wer glaubt, deutsche Geschichte lasse sich zwischen Rhein und Oder erzählen, dem sei gesagt: Lesen Sie dieses Buch. Danach werden Sie Deutschland nie wieder nur in Deutschland sehen.

Die Deutschen in der Welt von David Blackbourn Die Deutschen in der Welt von David Blackbourn Reviewed by Darkybald on Samstag, Juli 26, 2025 Rating: 5

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