We Burn the Sun von Anika Beer
We Burn the Sun von Anika Beer
Wenn die Zukunft absäuft und die Hoffnung schwimmen lernt.
Inhalt:
2091: Im überfluteten New York wird die Diplomatin Viv Hargreeves mit der Aufklärung einer brutalen Mordserie beauftragt. Ihre größte Hoffnung auf Erfolg: die Physikerin Sorcha Brennan und ihre Maschine, die alternative Zeitlinien öffnet. Doch die kämpft an der Seite berüchtigter Piraten. Erst als ein besonders kühner Coup entsetzlich schiefgeht und Sorchas große Liebe getötet wird, sieht die Piratin sich gezwungen, mit Viv zusammenzuarbeiten. Auf einer wilden Jagd durch die Zeit werden die Feindinnen zu Verbündeten. Aber können sie einander wirklich vertrauen?
Review:
Ein Roman, der Zeitreisen, Kapitalismuskritik, Piraterie und Neurophysik unter einen narrativen Hut bringt? Das klingt zunächst wie ein literarischer Hütchenspielertrick – und genau in diesem Verdacht liegt die Faszination von We burn the sun. Anika Beer wagt viel, vielleicht zu viel, und genau das macht ihr Buch so bemerkenswert. Was auf den ersten Blick wie das verspätete Produkt eines durchwachten Nächte-Marathons im Writers’ Room einer Netflix-Serie wirkt, entpuppt sich beim genauen Hinsehen als komplexes, dabei stets leidenschaftlich erzähltes Vexierspiel über Macht, Verlust, Erinnerung und die große Unverschämtheit namens Hoffnung.
Wir befinden uns im Jahr 2091, und die Menschheit hat sich erwartungsgemäß ins Elend katapultiert: Das Eis schmilzt, der Meeresspiegel steigt, New York ist zur amphibischen Geisterstadt mutiert. Während sich die oberen Zehntausend auf schwimmende Luxusenklaven retten, überlässt man die restlichen neunzig Prozent dem Absaufen. Aber keine Sorge, auch dafür hat die Zukunft eine Lösung: Piraten. Diese operieren nicht mehr mit Enterhaken, sondern mit ideologischer Schärfe und technologischer Raffinesse. Und hier kommen sie ins Spiel: Sorcha, eine Neurophysikerin mit dem Know-how, an der Zeit selbst zu manipulieren, und Vince, ein Freiheitskämpfer, der stellvertretend für all jene steht, deren Leben in der Weltordnung keinen Platz mehr hat – und den Sorcha um jeden Preis zu retten versucht. Auch, wenn dafür das Raum-Zeit-Kontinuum mehrfach verdreht, gestaucht und gelegentlich auch ignoriert werden muss.
Beer geht mit dem Konzept der Zeitreise nicht leichtfertig um – das ist keine Spielerei à la „Zurück in die Zukunft“, sondern ein erzählerischer Drahtseilakt, der Wissenschaftlichkeit suggeriert und dabei glücklicherweise nicht in Erklärbär-Prosa abgleitet. Vielmehr verlangt das Buch seinen Leserinnen und Lesern etwas ab: Aufmerksamkeit, Geduld und die Bereitschaft, sich zunächst in der Orientierungslosigkeit zu verlieren, bevor sich das große Bild zusammensetzt. Es ist kein Nachteil, wenn man sich während der ersten Kapitel fragt, wo man gerade ist, wer mit wem spricht und in welcher Zeitebene das überhaupt alles stattfindet. Es gehört zum Plan – und der geht auf. Am Ende steht ein Aha-Moment, der so wohltuend ist wie das erste Glas Wasser nach einer durchzechten Nacht.
Besonders hervorzuheben ist die Figurenzeichnung: Sorcha und Vince sind keine konstruierte Romanze auf Speed, sondern zwei zutiefst glaubhafte Charaktere, die einander nicht retten, sondern erkennen. Um sie herum eine Crew, die in ihrer Diversität erfreulich unaufgeregt daherkommt – endlich einmal kein Diversity-TÜV, sondern Menschen mit Geschichte, Widerspruch und Haltung. Selbst Nebenfiguren tragen Konflikte mit sich herum, die dem Roman Tiefe geben, ohne ihn zu überfrachten. Anika Beer beweist hier ein Gespür für das richtige Maß – nicht im Sinne von Sparsamkeit, sondern im Sinne von Komposition.
Und wie steht es um die Sprache? Sie ist das eigentliche Fundament dieses Buches. Beer schreibt pointiert, gelegentlich rau, immer durchdacht. Ihr Stil ist keine literarische Pantomime, sondern ein Werkzeugkasten aus Präzision, Rhythmus und manchmal lakonischer Wärme. Da sitzt der Dialog, da stimmen die inneren Monologe, und vor allem: Es klingt nach etwas, das bleiben will.
Natürlich: Wer auf gradlinige Plots, klar abgegrenzte Kapitel und narrative Leichtigkeit hofft, der wird enttäuscht sein. We burn the sun ist keine Erholung, sondern ein Training. Doch wie bei jeder lohnenden Übung stellt sich am Ende ein befriedigender Muskelkater ein – und das Bedürfnis, die Reise noch einmal von vorn zu beginnen, nun im Wissen um die Fallstricke und Wendepunkte.
Was bleibt? Ein Roman, der sich dem Mainstream verweigert, ohne prätentiös zu sein. Ein Buch, das mehr will als unterhalten – und genau dadurch verdammt unterhaltsam ist. Wer behauptet, das literarische Genre der Science-Fiction sei ausgelutscht, hat Anika Beer nicht gelesen. Wer glaubt, Piraten gehörten ins Kinderzimmer, ebenfalls nicht. Und wer denkt, ein gutes Buch müsse sich leicht lesen lassen – der soll weiter auf seinen Klappentexten surfen. Alle anderen: bitte einsteigen. Es lohnt sich.












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