Die großen Vier von Agatha Christie
Die großen Vier von Agatha Christie
Poirot im Weltrettungsmodus – ein kurioser Ausreißer im Christie-Kanon
Inhalt:
Ein Unbekannter taucht bei Poirot auf und bricht vor ihm zusammen. Wer ist der Mann? Und was hat es mit »den großen Vier« auf sich, von denen er murmelt? In einem ihrer schwierigsten Fälle geraten der Meisterdetektiv und sein Kollege Arthur Hastings in Lebensgefahr, während sie versuchen, die Machenschaften einer internationalen Verbrecherorganisation aufzudecken.
Review:
Agatha Christies Roman Die großen Vier gehört zu jenen Büchern, die man weniger liest, um das Genie der Autorin zu bestaunen, als um ihre Fehlgriffe kennenzulernen. Statt eines subtilen Mordrätsels mit feinsinniger Gesellschaftssatire entfaltet sich hier ein überbordender Thriller, der mitunter wirkt, als habe man Poirot versehentlich in ein frühes James-Bond-Skript versetzt. Unser sonst so souveräner Meisterdetektiv wirft Rauchbomben, wechselt Verkleidungen und stolpert durch Szenarien, die man eher in Groschenheften erwarten würde. Seine Gegner sind nicht weniger schillernd: ein chinesischer Drahtzieher, ein amerikanischer Milliardär, eine französische Wissenschaftlerin und ein englischer Meister der Maskerade wollen die Welt ins Chaos stürzen. Ihre Motive bleiben nebulös, ihre Allianz unglaubwürdig, ihr Auftreten karikaturesk.
Dass der Roman wie ein Flickenteppich wirkt, hat eine naheliegende Ursache: Christie montierte hier eine Reihe zuvor veröffentlichter Kurzgeschichten zu einem langen Text. Man spürt es auf jeder Seite. Figuren tauchen auf, verschwinden im nächsten Kapitel wieder, Ortswechsel erfolgen im Stakkato. Ein einheitlicher Spannungsbogen entsteht kaum. Was bleibt, ist eine Folge atemloser Episoden, die man nicht immer ernst nehmen kann und vielleicht auch nicht soll. Zwischen dem Grotesken blitzt aber auch etwas Zeitgeschichte auf: Ängste vor internationalen Verschwörungen, Anspielungen auf technische Durchbrüche, sogar auf atomare Energien, die 1927 noch nach Science-Fiction klangen. In diesen Momenten spürt man, dass Christie versuchte, neue Wege zu gehen – angetrieben von persönlichen Krisen ebenso wie vom Druck des Marktes.
Doch die Figuren leiden unter diesem Experiment. Poirot erscheint manipulativer und weniger unfehlbar als gewohnt, Hastings wird zum Stichwortgeber degradiert, statt als liebenswürdiger Begleiter zu glänzen. Dazu kommen stereotype Darstellungen, die heute schwer erträglich sind. All das macht verständlich, warum dieses Buch im Schatten von Christies großen Meisterwerken steht.
Ich habe Die großen Vier als Hörbuchausgabe vom Hörbuchverlag gehört, kongenial gelesen von Matthias Matschke. Seine Stimme, die zwischen ironischer Distanz und erzählerischer Dringlichkeit changiert, verleiht dem Text eine Geschmeidigkeit, die man auf dem Papier oft vermisst. Matschke schafft es, dem etwas atemlosen, episodischen Charakter des Romans eine einladende Dynamik zu geben, und macht selbst die schwächeren Passagen zu einer hörbaren Vergnüglichkeit.
So bleibt das Buch ein Kuriosum, literarisch unausgewogen, aber als Hörbuch zumindest ein kurzweiliger Ausflug. Für Christie-Neulinge nicht zu empfehlen, für Kenner indes ein reizvolles Dokument, das zeigt, dass selbst eine Meisterin gelegentlich straucheln darf – und dass man dank eines guten Interpreten selbst bei einem schwächeren Text noch etwas genießen kann.












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