Mars-Genesis: Die letzte Reise von Brandon Q. Morris

Mars-Genesis: Die letzte Reise von Brandon Q. Morris

Titel des Buches
Seiten: 416
Verlag: FISCHER Tor
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3596710464
Kaufen: Amazon.de
Science-Fiction ohne Explosionen – aber mit Haltung
Bewertung: 6/10 ⭐

Inhalt:

Eine neue Heimat, eine neue Hoffnung … und ein neuer Feind. Brandon Q. Morris erzählt die Besiedlung des Mars als großes Abenteuer der Menschheit.

2058. Eine Künstliche Intelligenz hat mithilfe von Robotern den Bau einer Marskolonie beendet, in der bald die ersten hundert Menschen wohnen sollen. Da die kosmische Strahlung während der langen Reise und später auf dem Planeten das Erbgut der ersten Generation von Mars-Menschen irreparabel schädigen wird, entscheidet man sich für Astronauten und Astronautinnen im fortgeschrittenen Alter. Und so machen sich einhundert Kolonisten, allesamt zwischen ihrem fünfzigsten und fünfundsiebzigsten Lebensjahr, auf eine Reise ohne Wiederkehr zu einer neuen Heimat, in der jeder kleinste Fehltritt den Tod bedeuten kann, wo aber auch eine um zwei Drittel schwächere Schwerkraft den Alten eine neue Jugend mit ungewohnten Leistungen verheißt. Doch dann sind noch ganz unerwartete Fähigkeiten gefragt: Denn die KI auf dem Mars verfolgt offenbar ihre eigenen Pläne und versucht mit allen Mitteln, das Unternehmen scheitern zu lassen – was die wertvollen letzten Jahre der Kolonisten auf wenige Tage schrumpfen lassen könnte.

Review:

Wenn ein Autor wie Brandon Q. Morris ein neues Buch vorlegt, dann ist das in der Welt der Science-Fiction beinahe so etwas wie ein Ritual: Man erwartet wissenschaftliche Präzision, ein plausibles Zukunftsszenario und Figuren, die mit mehr zu kämpfen haben als bloß Meteoriten und Motten im Maschinenraum. Mit Mars-Genesis: Die letzte Reise erfüllt Morris diese Erwartungen – und unterläuft sie zugleich mit einem Kunstgriff, der sich nicht nur gegen die Konventionen des Genres richtet, sondern auch gegen die tief sitzenden Reflexe unserer Lesekultur.

Denn wer, bitte schön, würde eine Marsmission mit Seniorinnen und Senioren besetzen? Morris tut genau das – und er tut es nicht etwa aus Sentimentalität, sondern aus einer ebenso cleveren wie plausiblen Überlegung: Der menschliche Körper jenseits der 50 reagiert weniger empfindlich auf Strahlung. Was wie ein Nebenfakt aus einem NASA-Dossier klingt, entwickelt sich bei Morris zu einer stillen Revolution im Raumfahrt-Narrativ. Statt testosterongeladener Rekruten und genmanipulierter Übermenschen betreten nun gelebte Biografien den Kosmos. Und siehe da: Die Geschichte gewinnt an Tiefe, an Humor, an Melancholie.

Natürlich gibt es auch in Mars-Genesis eine Bedrohung – irgendjemand will die Mission sabotieren, aber Morris inszeniert das nicht als Thriller à la Hollywood. Vielmehr schleicht sich der Verdacht langsam ins Schiff, wie Sauerstoffmangel in eine undichte Kabine. Man weiß nicht genau, woher die Gefahr kommt, und das ist literarisch allemal reizvoller, als wenn einem der Bösewicht gleich auf Seite 20 entgegenspringt. Es ist eben die ruhige, präzise, fast lakonische Erzählweise, die Morris’ Bücher so lesenswert macht – und auch so eigenwillig. Wer auf hektische Plotpoints und explosive Wendungen hofft, ist hier fehl am Platz. Morris schreibt für ein Publikum, das mitdenkt, nicht mitzittert.

Die wahren Stars des Romans aber sind die sogenannten Roboterkrebse – maschinelle Helferlein, die über die Außenhaut des Raumschiffs krabbeln, Reparaturen ausführen und im Laufe der Erzählung ein Eigenleben entwickeln, das man nur als „zart posthuman“ bezeichnen kann. Es ist diese feine Gratwanderung zwischen Technik und Emotion, zwischen Maschine und Mythos, die dem Buch seine eigentliche Tiefe verleiht. Morris gelingt es, in diesen künstlichen Wesen mehr Persönlichkeit zu verankern als andere Autoren in einem ganzen Menschenarsenal. Während viele Science-Fiction-Schreiberlinge noch über die moralischen Implikationen künstlicher Intelligenz fabulieren, lässt Morris seine Roboter schlicht handeln – und zwingt uns damit, unsere eigenen Kategorien zu hinterfragen.

Nicht alles ist rund: Die Namensgebung der Figuren – Frank, John, Joe – wirkt so uninspiriert wie ein amerikanisches Telefonbuch, und gelegentlich verlässt sich Morris zu sehr auf das visuelle Gedächtnis seiner Leser. Die Szenen im Inneren des Raumschiffs bleiben mitunter vage, als müsse man sich bloß an Gravity oder The Martian erinnern, um zu wissen, wie es dort aussieht. Das ist bequem, aber auch ein bisschen ärgerlich, denn ein Autor mit dem Anspruch von Morris sollte mehr Vertrauen in seine eigene Imaginationskraft setzen – und weniger in die Filmografie von Ridley Scott.

Dennoch: Mars-Genesis ist ein kluges, eigenwilliges Buch. Kein Pageturner, aber ein Gedankenöffner. Es ist ein Roman, der nicht schreit, sondern nachhallt. Und der einmal mehr zeigt, dass gute Science-Fiction nicht aus Laserkanonen und Weltraumschlachten besteht, sondern aus Ideen. Dass Morris sich selbst als Figur – wohlgemerkt als alternden Raumfahrer – ins Buch hineinschreibt, ist dabei weniger Eitelkeit als ein ironisches Augenzwinkern. Einer, der das Genre so gut kennt, darf sich solche Freiheiten nehmen.

Ob es eine Fortsetzung geben wird? Vermutlich. Und ich werde sie lesen. Vielleicht wieder mit dem Gefühl: Jetzt ist’s aber auch mal genug mit diesem Morris. Und dann wieder völlig drin sein.

Mars-Genesis: Die letzte Reise von Brandon Q. Morris Mars-Genesis: Die letzte Reise von Brandon Q. Morris Reviewed by Darkybald on Dienstag, Mai 20, 2025 Rating: 5

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