Das Mädchen aus Yorkshire - Lucinda Riley
Das Mädchen aus Yorkshire - Lucinda Riley
Ein dunkles Kaleidoskop aus Glanz, Schuld und Schicksal
Inhalt:
Leah Thompson wächst in den 1970er Jahren in einfachen Verhältnissen im ländlichen Yorkshire heran. Niemand kann ahnen, dass sie eines Tages die Laufstege dieser Welt im Sturm erobern wird. Aber die schicksalshafte Verbindung mit der Familie Delancey bestimmt ihr Leben – und zieht sie in einen Strudel von Ereignissen, der im Zweiten Weltkrieg seinen Ausgang nahm und in einer längst vergessenen Prophezeiung aus der Vergangenheit endet …
Review:
Lucinda Riley hat sich zu Lebzeiten einen festen Platz in der Welt der Unterhaltungsliteratur erarbeitet – als versierte Erzählerin, als Garantin für emotionale Familiengeschichten mit historischem Fundament. Mit Das Mädchen aus Yorkshire, einer von ihrem Sohn Harry Whittaker postum überarbeiteten Frühfassung, legt sie gewissermaßen ein literarisches Zeitdokument eigener Art vor: eine Melange aus Coming-of-Age, Kriegsverbrechen, Modewelt und moralischem Weltgericht – so widersprüchlich wie faszinierend.
Man muss sich dabei allerdings auf ein erzählerisches Gewitter gefasst machen, das an manchen Stellen mehr aufwühlt als begeistert. Die Geschichte um die junge Leah Thompson, die aus der ländlichen Tristesse Yorkshires in die glitzernde Welt der Mode katapultiert wird, mutet an wie ein modernes Märchen – allerdings eines, das von Grimmschen Abgründen durchzogen ist. Was auf den ersten Blick als klassische Aschenputtel-Parabel erscheint, entwickelt sich bald zu einem düsteren Sittenbild, in dem nicht nur Rivalität, Machtgier und emotionale Abhängigkeit den Ton angeben, sondern auch Mord, Missbrauch und die Nachwirkungen des Holocaust. Und das alles auf gut 500 Seiten (11Stunden Hörbuch). Man kann sich an weniger verhebt haben.
Literarisch interessant wird das Ganze dort, wo Riley – oder besser: die in ihrem Namen redigierende Hand des Sohnes – ihre Figuren nicht zu bloßen Stellvertretern eines dramatischen Plots degradiert, sondern ihnen psychologische Tiefe zugesteht. Brett, der traumatisierte Sohn eines reichen Patriarchen, ist so ein Fall. Auch Leah, deren äußere Schönheit ihr Leben prägt und gleichzeitig zur existenziellen Falle wird, trägt narrative Spannkraft in sich. Doch diese gelungenen Charaktere werden regelmäßig von überfrachteten Nebenhandlungen erdrückt – ein Problem, das vielen Debütromanen eigen ist und das auch durch spätere stilistische Politur nicht gänzlich geglättet werden kann.
Besonders auffällig ist der Genre-Mix, den dieses Buch mit sich bringt: Thrillerhafte Elemente reiben sich an romantischer Verklärung, die Historie der Shoah steht neben Eifersuchtsdramen aus der Modemetropole Mailand. Man kann das als kühne Konstruktion loben – oder als stilistische Zersplitterung bemängeln. Der Vorwurf der Überambitioniertheit ist nicht leicht von der Hand zu weisen. Ein Roman, der Konzentrationslager, Missbrauchserfahrungen, Liebesintrigen, Familienverrat und internationale Laufstegkarrieren unter einem Dach vereinen will, fordert seinen Leser nicht nur heraus, er strapaziert auch seine Geduld.
Doch gerade in dieser erzählerischen Maßlosigkeit liegt auch eine merkwürdige Anziehungskraft. Der Roman ist wie ein überladenes Jugendstil-Gemälde – zu viel Gold, zu viele Ornamente, und doch kann man den Blick nicht abwenden. Wenn Miranda, eine der Antagonistinnen des Buches, Liebe als „Falle für Narren“ beschreibt, dann ist das nicht nur ein Einblick in ihre verkorkste Psyche, sondern auch ein Kommentar auf die emotionale Kälte einer Gesellschaft, in der Geld und Einfluss alles bedeuten. Dass diese Gesellschaft hier sowohl in der Upper Class Englands als auch in den Schatten der Geschichte dargestellt wird, verleiht dem Roman zumindest thematisch eine beachtliche Tiefe.
Ich habe Das Mädchen aus Yorkshire in der Hörbuchfassung gehört, meisterhaft gelesen von Simone Kabst – und das war, bei aller inhaltlichen Düsternis, ein Genuss. Kabst gelingt es mit ihrer nuancierten, warmen Stimme, selbst den überladensten Passagen Eleganz zu verleihen. Sie führt durch das emotionale Auf und Ab dieser Geschichte mit kluger Zurückhaltung und genau dem Maß an Empathie, das es braucht, um Leahs innere Zerrissenheit und Mirandas kühle Berechnung gleichermaßen glaubhaft zu machen. Ihre Lesung ist kein akustisches Beiwerk, sondern ein interpretatorischer Mehrwert – selten war ein Hörbuch so atmosphärisch dicht und gleichzeitig stilistisch präzise.
Was bleibt, ist ein Werk, das nicht gefällig sein will – und genau darin seinen Reiz entfaltet. Wer Lucinda Rileys leichte Sommerromane liebt, wird an diesem Buch womöglich verzweifeln. Wer sich jedoch für das Frühwerk einer Autorin interessiert, das in seiner Überzeichnung ebenso viel über das Schreiben wie über das Menschsein verrät, sollte sich dieses Buch nicht entgehen lassen. Das Mädchen aus Yorkshire ist kein literarischer Feinschliff – eher ein roher Diamant, der seine Leser mehr verletzt als bezaubert. Und manchmal ist genau das die Aufgabe von Literatur.












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