Kein Zurück von Stephen King

Kein Zurück von Stephen King 

Titel des Buches
Seiten: 640
Verlag: Heyne
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3453274342
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Stephen King auf Autopilot: Kein Zurück, aber auch kein Vorwärts
Bewertung: 4/10 ⭐

Inhalt:

Die Polizei zieht Privatermittlerin Holly Gibney zurate. Ein anonymes Schreiben hat eine Mordserie angekündigt. Das erste Opfer ist eine harmlose Frau, in der Hand hält sie einen Zettel. Der Name darauf verweist auf eine Geschworene, die an der Verurteilung eines Unschuldigen beteiligt war, der im Gefängnis erstochen wurde. Der verrückte Täter tötet als „Sühneakt“ Ersatzopfer anstelle der Geschworenen? „Die Schuldigen am Tod des Unschuldigen sollen leiden“, hieß es. Das wahllose Morden geht weiter. Während Holly fiebrig das Puzzle zusammensetzt, hat sie auch alle Hände voll damit zu tun, Anschläge auf eine Feministin abzuwehren, der sie als Personenschützerin dient. Wie zielgerichtet steuert alles auf eine einzige große Katastrophe zu.

Review:

Stephen King ist zweifellos einer der produktivsten Erzähler unserer Zeit, ein Mann, der Geschichten schreibt wie andere Leute Einkaufszettel – mit Hingabe, aber nicht immer mit Stringenz. Sein neuer Roman Kein Zurück bietet wieder einmal das, was man von King erwarten darf: Mord, Moral, Monologe – und Holly Gibney. Leider auch: Redundanz, Relevanzsimulation und einen Spannungsbogen, der sich über weite Strecken eher wie ein Hängemattentuch ausnimmt als wie ein Drahtseil.

Holly Gibney also, jene hypersensible, neurodivergente Ermittlerin, die sich von einer Nebenfigur zum tragenden Gerüst mehrerer Romane aufgeschwungen hat – oder, je nach Perspektive, zu einem Altar, an dem King selbst als erster Anbeter kniet. In Kein Zurück kehrt sie zurück, allerdings seltsam entkernt. Ihre einst liebenswert-schrägen Eigenheiten weichen einer glattgebügelten Professionalität, als sei sie aus dem FBI-Serienbaukasten gefallen. Das mag man als Reifeprozess deuten, oder als das literarische Äquivalent zu Botox: geglättet, aber ohne Ausdruck.

Die Handlung – oder besser: die Vielzahl an Handlungsschlingen – will groß gedacht sein, scheitert jedoch immer wieder an ihrer eigenen Überfrachtung. Zwei Täterfiguren, zwei Erzählstränge, eine Handvoll Nebenfiguren, von denen manche so farbenfroh überzeichnet sind, dass sie eher aus einem Tarantino-Script stammen könnten als aus einem Roman, der sich mit den tiefen Abgründen gesellschaftlicher Spaltung beschäftigen möchte. Da wäre ein religiöser Fanatiker, der eine feministische Aktivistin verfolgt, weil sie sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt. Und ein Serienmörder, der aus Rache für eine vermeintlich falsche Verurteilung mordet – mit einer Gleichgültigkeit, die so kalkuliert inszeniert wird, dass sie bald jede emotionale Wirkung verliert.

King gelingt es wie gewohnt, Szenen zu schaffen, die einem den Atem rauben könnten – wenn sie nicht zuvor in zähen Dialogen oder ausschweifenden Abschweifungen erstickt worden wären. Es ist, als hätte der Autor sich beim Schreiben immer wieder selbst unterbrochen, um sich zu erklären, zu relativieren oder mit bedeutungsschwangeren Querverweisen auf das eigene Werk zu kokettieren. Die Referenzen auf frühere Romane wirken dabei nicht wie kluge Selbstzitate, sondern wie Fußnoten in eigener Sache: "Sieh her, lieber Leser, alles hängt zusammen!" – ja, aber nicht alles trägt.

Was den Figuren fehlt, ist weniger Tiefe als Glaubwürdigkeit. Besonders irritierend ist Kings Neigung, seine Heldin unablässig lobpreisen zu lassen – von jeder Nebenfigur, von jeder Begegnung, fast wie in einer Selbsthilfegruppe für Holly-Bewunderer. Man wartet nur darauf, dass jemand sie „Nationalheiligtum“ nennt. Und so wie Holly hier überhöht wird, werden andere Figuren – etwa die feministische Aktivistin Kate – zu bloßen Projektionsflächen. Ihre Reden bleiben so generisch, dass man sich fragt, ob sie außer ihrer Agenda überhaupt eine Persönlichkeit hat.

Das alles kulminiert in einem Finale, das temporeich, bildstark, ja fast schon filmisch geraten ist – und damit ungewollt illustriert, wohin Kings Spätwerk treibt: in Richtung Drehbuch, nicht Roman. Die Schlusspointe knallt, das Tempo stimmt, aber die emotionale Fallhöhe fehlt. Es ist, als habe man ein Puzzle zusammengesetzt, das zwar hübsch aussieht, aber nie ganz klar macht, warum man es eigentlich begonnen hat.

Im Nachwort offenbart King, dass Kein Zurück eine schwierige Geburt war – mit mehreren Titeln, mehreren Fassungen, einer Phase der Schreibkrise und dem vernichtenden Urteil seiner Frau, die den ersten Entwurf offenbar in Grund und Boden las. Man möchte ihr nachträglich danken. Denn was am Ende steht, ist nicht schlecht, aber auch nicht gut genug. Es ist ein Roman, der nach Relevanz riecht, aber oft nur den Duft von Routine verströmt. Und das tut weh. Denn selbst ein mittelmäßiger King ist immer noch besser als vieles, was der Literaturmarkt sonst bereithält – aber das sollte ihm kein Trost sein, sondern Ansporn.

Kein Zurück ist ein Buch, das viel will, wenig riskiert und zu selten trifft. Ein Roman wie lauwarmer Kaffee: vertraut, trinkbar, aber am Ende enttäuschend. Man liest ihn durch – aus Respekt, aus Nostalgie, aus Treue. Aber nicht, weil man muss.

Kein Zurück von Stephen King Kein Zurück von Stephen King Reviewed by Darkybald on Freitag, Juni 27, 2025 Rating: 5

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