Thronräuber von Sharon Penman
Thronräuber von Sharon Penman
Ein literarisches Monument der mittelalterlichen Ambivalenz
Inhalt:
England, 1135. Als die Kirchenglocken den Tod von König Henry I. verkünden, sehen sich seine Fürsten mit einer unliebsamen Vorstellung konfrontiert: einer Frau auf dem englischen Thron. Kaiserin Maude ist aufbrausend und gebieterisch, aber die rechtmäßige Erbin des Königreichs ihres Vaters. Ihr Gegenspieler, Stephen von Blois, ist ritterlich, beliebt, unentschlossen, aber ein brillanter Befehlshaber – und ein Mann. Ein blutiger Konflikt voll von Chaos und Entbehrungen bricht aus, ausgetragen auf dem bewegten und intrigenreichen Schachbrett des mittelalterlichen Europas. Am Ende wird nur einer der beiden auf dem Thron sitzen.
Review:
Sharon Kay Penmans Thronräuber ist ein Roman, wie ihn sich der historisch interessierte Leser im Stillen erhofft, aber nur selten bekommt: klug, kenntnisreich, sprachlich souverän und mit einer Menschenkenntnis geschrieben, die jeden Gedanken an oberflächliche Unterhaltung sofort beiseiteschiebt.
Man könnte das Buch als episches Panorama eines fast zwei Jahrzehnte währenden englischen Bürgerkriegs bezeichnen, in dem sich Macht, Geschlecht und Legitimationsfragen auf eine Weise verheddern, die unsere heutige Vorstellung von Politik fast nostalgisch wirken lässt. Doch damit würde man Penman nicht gerecht. Denn was sie aus der historischen Fehde zwischen der vom Vater zur Nachfolgerin bestimmten Kaisertochter Maude und ihrem gewinnenden Cousin Stephen macht, ist weit mehr als ein aufgebohrter Mittelalterroman. Sie seziert mit fast dokumentarischer Genauigkeit die Mechanismen politischer Loyalität, die Fragilität der Macht und vor allem das Paradoxon weiblicher Herrschaft in einer Welt, die Frauen maximal als Verhandlungsmasse duldete.
Maude, oft als kalt und herrisch beschrieben, erscheint bei Penman nicht als moralisch Überhöhte, sondern als widersprüchliche, kämpferische Frau, die sich in einer patriarchalen Welt mit Mut, Intelligenz und einer guten Portion Unnachgiebigkeit zu behaupten versucht – und dabei nicht selten an der Doppelmoral ihrer Umgebung scheitert. Sie zeigt Stärke und wird dafür gefürchtet. Sie zeigt Nachsicht und wird dafür verachtet. Es ist diese verdammte Zwickmühle, die das Buch nicht nur historisch erhellend, sondern erschütternd aktuell macht.
Stephen hingegen, der als galanter Gegenspieler zunächst gewinnt, verliert sich zunehmend in seiner eigenen Gutmütigkeit. Seine Unfähigkeit zur Härte mag heute sympathisch erscheinen, im 12. Jahrhundert jedoch war sie ein Kardinalfehler. Er will geliebt werden und wird dafür verachtet. Eine Tragik von beinahe Shakespeare’schem Format – wäre Shakespeare nicht 400 Jahre zu spät geboren.
Was Penman dabei gelingt, ist nicht weniger als die Wiederbelebung eines ganzen Jahrhunderts – detailgenau, aber nie belehrend. Man merkt ihrer Sprache an, dass sie die archaische Wucht des Mittelalters kennt, aber nicht darin versinkt. Ihre Prosa ist klar, niemals prätentiös, und dabei so elegant, dass man sich beinahe wünscht, auch andere Romane dieser Art würden sich an ihr orientieren. Sie schreibt mit der Ernsthaftigkeit einer Historikerin und der erzählerischen Leichtigkeit einer echten Romanautorin. Und das ist, verzeihen Sie die Phrase, selten.
Besonders bemerkenswert ist ihre Fähigkeit, die unzähligen realhistorischen Figuren mit psychologischer Tiefe auszustatten – niemand ist bloß gut oder böse, niemand bloß Sieger oder Opfer. Selbst ihre fiktive Figur Ranulf Fitz Roy fügt sich so überzeugend in den historischen Kontext ein, dass man ihn beim Nachschlagen vermisst. Ranulf ist kein Held aus dem Baukasten, sondern ein Mann im moralischen Dilemma – und damit ein moderner Mensch in mittelalterlicher Rüstung.
Was bleibt, ist ein Buch, das seine fast 780 Seiten mit Leichtigkeit trägt. Kein Kapitel zu viel, keine Figur zu flach, keine Szene redundant. Ein Roman, der lehrt, ohne zu dozieren, der bewegt, ohne zu manipulieren – und der einmal mehr zeigt, wie nah Geschichte und Gegenwart sich im Kern sind, wenn man sie ernst nimmt.
Thronräuber ist keine historische Seifenoper, kein verklärtes Mittelaltermärchen. Es ist ein Werk von literarischer Reife, historischer Akribie und erzählerischer Wucht. Ein Roman, der dort ansetzt, wo die meisten aufhören: bei der Wahrheit der Menschen. Wer ihn nicht liest, dem ist nicht zu helfen. Und wer nach der Lektüre nicht klüger, empfindsamer und vielleicht sogar ein wenig melancholischer in die Welt schaut, sollte zur Sicherheit prüfen, ob sein Herz noch schlägt.












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