Verstand und Gefühl von Jane Austen

Verstand und Gefühl von Jane Austen

Titel des Buches
Seiten: 448
Verlag: Anaconda
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3730615270
Kaufen: Amazon.de
Ein Gesellschaftspanorama voller Schwätzer, Schwindler und Sehnsüchtiger
Bewertung: 8/10 ⭐

Inhalt:

Vor der idyllischen Kulisse Großbritanniens im 18. Jahrhundert schildert »Verstand und Gefühl« die gegensätzlichen Schicksale der verarmten Dashwood-Schwestern – der pragmatischen Elinor und der impulsiven Marianne –, die sich auf der Suche nach Liebe durch die tückischen Gewässer der Gesellschaft bewegen. Austens Witz und scharfer sozialer Kommentar beleuchten die Zwänge von Klasse und Geschlecht mit subtiler Ironie. Gleichzeitig ist ihr klassischer Roman, den sie im Alter von nur 20 Jahren schrieb, auch heute noch eine charmante und vergnügliche Lektüre. Hier als Schmuckausgabe mit Goldprägung.

Review:

Jane Austens Erstlingswerk Verstand und Gefühl ist ein Buch, das man mit einem gewissen Schaudern in die Hand nimmt, wissend, dass es den Auftakt zu einem der elegantesten Oeuvres der englischen Literatur bildet. Und doch überrascht es immer wieder durch seine Modernität. Hinter dem höflichen Flüstern der Gesellschaftsdialoge und der gepflegten Landschaftsspaziergänge verbirgt sich ein Text, der unmissverständlich zeigt, wie sehr Heirat im England des frühen 19. Jahrhunderts vor allem eine ökonomische Transaktion war. Austen deutet das niemals mit erhobenem Zeigefinger an, sondern mit einer Ironie, die so scharf wie seidig daherkommt.

Im Mittelpunkt stehen die Schwestern Elinor und Marianne Dashwood, die man gern als Sinnbilder zweier gegensätzlicher Prinzipien liest: die Vernunft auf der einen, die Empfindsamkeit auf der anderen Seite. Doch Austens Genie besteht darin, diese Zuschreibung immer wieder zu unterlaufen. Elinor ist weit davon entfernt, eine gefühllose Statthalterin der Ratio zu sein, während Marianne, bei aller überschwänglichen Emotionalität, nicht ohne klarsichtige Momente bleibt. Die Schwestern sind keine Allegorien, sondern Menschen, widersprüchlich, verletzlich, von ihrer Zeit bedrängt und in ihren Hoffnungen zugleich zu groß und zu klein für die Welt, die sie bewohnen.

Austen entwirft ein Gesellschaftspanorama, das von opportunistischen Schwätzern, habgierigen Verwandten und berechnenden Verehrern wimmelt, doch auch von stillen, tiefgründigen Figuren bevölkert ist, die durch ihr bloßes Dasein eine andere Möglichkeit des Lebens andeuten. Colonel Brandon, dieser ernste, reife Mann mit seiner Melancholie, wirkt fast wie ein Fremdkörper unter den flatterhaften Geistern, und gerade deshalb gewinnt er an Gewicht. Dass selbst die unsympathischsten Figuren gelegentlich Momente der Rechtfertigung erhalten, gehört zu Austens feiner Menschenkenntnis. Sie verweigert den einfachen Schwarz-Weiß-Kontrast und zeigt lieber ein Spektrum, das dem wirklichen Leben näher kommt als so mancher moderne Roman.

Das große Thema ist der Widerstreit von Gefühl und Vernunft, doch dieser Konflikt wird stets in eine größere Frage eingebettet: Wie sehr darf oder muss der Mensch sich den ökonomischen Realitäten fügen, wie weit darf das Herz gegen den Geldbeutel rebellieren. Austen zeigt, dass Liebe in einer Gesellschaft, die von Erbschaften und Mitgiften zusammengehalten wird, kaum eine ungebrochene Chance hat. Sie gönnt ihren Figuren ein Ende, das dem Schein nach glücklich ist, aber wie mit leiser Hand ironisch unterspült wird. Man spürt, dass sie die Konventionen ihrer Zeit respektieren musste, zugleich aber deren Risse kenntlich macht.

Die sprachliche Eleganz ist makellos. Austen beherrscht die Kunst, kleine Beobachtungen, ein Zucken im Gesicht, eine unbedachte Geste, mit einer Bedeutung aufzuladen, die den ganzen Charakter bloßlegt. Ihr Humor ist trocken, niemals schrill, immer von jener Art britischer Selbstverständlichkeit, die eine Pointe nicht einmal aussprechen muss, damit sie sitzt. Schon in diesem Debüt ist die Meisterin erkennbar, die später mit Pride and Prejudice oder Emma vollends brillieren sollte.

Man könnte sagen, dass Verstand und Gefühl die Blaupause für alle romantischen Komödien liefert, die seitdem in unzähligen Varianten erschienen sind, von Molière bis Hollywood. Doch Austens Roman ist mehr als eine Komödie, er ist auch eine präzise sezierende Gesellschaftsstudie. In dieser Spannung liegt seine ungebrochene Frische. Wer die Romane der Brontës dramatischer, die der Moderne raffinierter findet, mag recht haben. Aber wer das Wesen menschlicher Eitelkeit, Sehnsucht und Kompromissbereitschaft in seiner zeitlosen Gestalt studieren will, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

Verstand und Gefühl von Jane Austen Verstand und Gefühl von Jane Austen Reviewed by Darkybald on Dienstag, September 02, 2025 Rating: 5

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