Ghost Mountain von Rónán Hession
Ghost Mountain von Rónán Hession
Ein meisterhafter Balanceakt zwischen Humor und existenzieller Ernsthaftigkeit
Inhalt:
Wo zuvor nur Felder waren, steht plötzlich über Nacht ein Berg und verändert das Leben der umliegenden Gemeinde. Anhand eines Reigens ganz gewöhnlicher und doch einzigartiger Charaktere erkundet dieser feine Roman die Gipfel und Abgründe des menschlichen Daseins. Warmherzig, humorvoll, weise, zart und geradezu im Vorbeigehen macht er dabei ganze Welten auf. »Auf mal entzückende, mal lustige, mal erschütternde Weise zeigt Hession, dass unser eigenes Leben genauso unerklärlich und geheimnisvoll ist wie dieser magische Berg.« THE GUARDIAN »Hession erinnert an Murakami, bevor er berühmt, und an Beckett, nachdem er ein Adjektiv wurde. (…) Was für ein Glück, dass solche Bücher noch geschrieben werden.« THE IRISH TIMES
Review:
In seinem dritten Roman "Ghost Mountain" entführt Rónán Hession seine Leser in eine Welt, die sowohl vertraut als auch zutiefst mysteriös ist. Bekannt für seine feinfühligen Porträts des Alltäglichen in "Leonard und Paul" und "Panenka", wagt Hession hier einen mutigen Schritt in dunklere Gefilde, ohne dabei seine charakteristische Menschlichkeit zu verlieren.
Die Geschichte beginnt mit dem plötzlichen Erscheinen eines Berges in der Nähe einer unauffälligen Kleinstadt – ein Phänomen, das weder erklärt wird noch sich erklären lässt. Dieser Berg, limpetförmig und gesichtslos, dient weniger als geographisches Rätsel denn als Spiegel für die inneren Landschaften der Einwohner. Hession nutzt dieses unerklärliche Ereignis, um die tief verborgenen Sehnsüchte, Ängste und Konflikte seiner Charaktere ans Licht zu bringen.
Elaine, die den Berg als Erste entdeckt, ist eine Frau mittleren Alters, deren einsames Leben durch diese Entdeckung eine unerwartete Wendung nimmt. Ihre Begegnung mit dem Berg ist zugleich tragisch und erleuchtend, und Hession gelingt es, ihre innere Transformation mit großer Sensibilität zu zeichnen. Ocho und Ruth, ein Ehepaar in der Krise, reagieren unterschiedlich auf das Phänomen: Ruth fühlt sich mystisch angezogen, während Ocho in Zynismus und Eifersucht verfällt. Ihre Beziehung wird zum Schauplatz unausgesprochener Spannungen, die durch das Auftauchen des Berges nur noch verstärkt werden.
Besonders beeindruckt hat mich die Figur des Kartographen, der in seiner Rolle als Hüter der Karten und Vermesser der Welt plötzlich im Mittelpunkt steht. Seine anfängliche Begeisterung schlägt jedoch in Selbstüberschätzung und letztlich in Selbstzerstörung um. Hession zeichnet hier ein präzises Bild von menschlicher Hybris und der Suche nach Bedeutung in einer gleichgültigen Welt.
Der Roman besticht durch Hessions eleganten und dennoch zugänglichen Schreibstil. Seine Sprache ist klar, poetisch und voller feiner Nuancen. Er verbindet das Alltägliche mit dem Surrealen, ohne dabei die Bodenhaftung zu verlieren. Seine Beschreibungen sind reich an Details, die die Sinne ansprechen und die Atmosphäre der Geschichte greifbar machen.
Was mir besonders gut gefallen hat, ist Hessions Fähigkeit, schwere Themen mit subtiler Leichtigkeit zu behandeln. Trotz der dunkleren Untertöne – Isolation, existenzielle Angst, zwischenmenschliche Entfremdung – verliert der Roman nie seinen warmen Kern. Der Humor ist fein dosiert und dient dazu, die Charaktere noch menschlicher und zugänglicher zu machen.
Allerdings hatte ich den Eindruck, dass der Roman an manchen Stellen zu sehr in Andeutungen verweilt. Die metaphysische Bedeutung des Berges bleibt bewusst vage, was zwar Raum für Interpretationen lässt, aber auch zu einer gewissen Unbestimmtheit führt. Einige Handlungsstränge hätten tiefer erforscht werden können, um den emotionalen Impact zu verstärken.
Dennoch ist "Ghost Mountain" ein beeindruckendes Werk, das lange nachhallt. Hession fordert seine Leser heraus, ohne sie zu überfordern, und bietet eine fein nuancierte Reflexion über das Menschsein. Es ist ein Roman, der von der Kraft der inneren Geschichten erzählt und davon, wie sie unsere Wahrnehmung der Realität formen.
In einer Zeit, in der Literatur oft von lauten Stimmen und spektakulären Ereignissen dominiert wird, erinnert uns Hession daran, dass die größten Dramen im Verborgenen stattfinden – in den Herzen und Gedanken gewöhnlicher Menschen. "Ghost Mountain" ist ein leises, aber kraftvolles Buch, das seinen Platz in der zeitgenössischen Literatur mehr als verdient hat.
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