Parts Per Million: Gewalt ist eine Option von Theresa Hannig
Parts Per Million: Gewalt ist eine Option von Theresa Hannig
Rating: 7/10
Inhalt:
Aktuell, kritisch und äußerst spannend. Ein Climate-Fiction-Thriller über die Zukunft des Klima-Aktivismus. Die Autorin Johanna Stromann will einen Roman über Klima-Aktivisten schreiben. Doch die Recherche erweist sich als gefährlich, denn der Staat versucht, die Proteste mit Gewalt zu unterdrücken. Bald ist es Johanna nicht mehr möglich, neutral am Rand zu stehen und nur zu dokumentieren. Im Gegenteil: Ihr geht das alles nicht weit genug. Als ein Großteil der Klima-Gruppen verboten und ihre Mitglieder zu Haftstrafen verurteilt werden, gründet sie zusammen mit den verbliebenen Aktivist*innen die Gruppe „Parts Per Million“, um die Verursacher der Klimakatastrophe zur Rechenschaft zu ziehen. Mit allen Mitteln.
Review:
Theresa Hannigs "Parts per Million" ist ein Buch, das aufwühlt, provoziert und ein unheimlich aktuelles Thema ins Zentrum rückt: den Klimawandel und die gesellschaftlichen Reaktionen darauf. Als ich das Buch zu Ende gelesen hatte, blieb ich mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen zurück. Hier wird ein Near-Future-Szenario entworfen, das nur allzu realistisch wirkt – vielleicht "zu" realistisch.
Die Geschichte folgt Johanna Stromann, einer Schriftstellerin, die ursprünglich nur für ihren nächsten Roman recherchiert, dabei aber immer tiefer in die Welt der Klimaaktivisten abrutscht. Anfangs ist sie nur neugierig, beobachtet die Proteste mit einem gewissen Abstand. Doch mit jedem Schritt, den sie in diese Welt setzt, entfernt sie sich von ihrem alten Leben – ihrem wohlhabenden Münchner Alltag mit Ehemann und Tochter. Der schleichende Übergang von der neutralen Beobachterin zur radikalen Aktivistin ist das Herzstück dieses Romans. Hannig schafft es dabei, Johannas Wandel so nachzuvollziehen, dass man als Leser die ganze Zeit fragt: "Würde ich in derselben Situation nicht ähnlich handeln?"
Radikalisierung als Antwort auf Ignoranz?
Einer der stärksten Aspekte des Buches ist, dass es die moralischen Grauzonen des Aktivismus auslotet. Johanna beginnt harmlos, doch bald gerät sie in den Bann von Marcus Heller, einem charismatischen Anführer der Bewegung, der den Klimaschutz nicht länger als Anliegen von friedlichen Demonstrationen sieht. Stattdessen plant er, den Kapitalismus radikal zu bekämpfen – koste es, was es wolle. Dieser Punkt hat mich stark beschäftigt: Wie weit darf Aktivismus gehen, um wirklich etwas zu bewirken?
Hier wird das Buch unbequem und das meine ich im besten Sinne. Hannig stellt uns die Frage, wie weit wir persönlich bereit wären zu gehen, wenn die Welt vor dem Kollaps steht. Was passiert, wenn friedliche Mittel versagen? Ist Gewalt dann gerechtfertigt? Natürlich verurteile ich jede Form von Gewalt, und doch habe ich mich dabei ertappt, diese Gedanken mitzudenken. "Parts per Million" spielt gekonnt mit diesen moralischen Dilemmas und lässt keine einfachen Antworten zu. Das macht den Roman so kraftvoll.
Ein düsteres Zukunftsszenario
Besonders gelungen finde ich die Art und Weise, wie Hannig die politische und gesellschaftliche Landschaft in der nahen Zukunft beschreibt. Deutschland wird von einer autoritären Regierung regiert, die Überwachung ist allgegenwärtig und die Demokratie scheint in ihren Grundfesten erschüttert. Das Buch spielt in einer Welt, die nur wenige Jahre in der Zukunft liegt – erschreckend vertraut, und genau das macht den Roman so beklemmend.
Die Nachrichten, die jedes Kapitel einleiten, sind reale Schlagzeilen, die uns nur allzu gut bekannt vorkommen: Extremwetter, politische Unruhen, soziale Spaltung. Diese Verknüpfung von Fiktion und Realität ist einer der stärksten Kniffe des Buches. Es erinnert uns daran, dass wir uns in genau dieser Welt befinden. Die Fragen, die hier gestellt werden, sind nicht bloß hypothetisch. Sie betreffen uns alle, jetzt und heute.
Spannung mit Schwächen
Was den Lesefluss angeht, hatte ich anfangs etwas Mühe, mich mit Johanna als Figur zu identifizieren. Sie wirkte auf mich zunächst distanziert und fast ein wenig passiv, was ihren Wandel später umso überraschender machte. Dennoch gibt es im Mittelteil des Buches einige Längen, in denen Johannas Recherchen sich etwas zu sehr in Details verlieren und den Thrill des Romans ausbremsen. Doch sobald Marcus Heller auf der Bildfläche erscheint, nimmt die Handlung an Fahrt auf, und ab diesem Punkt konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen.
Es gibt auch Momente, in denen Hannig ein wenig zu plakativ auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes hinweist. Die Botschaft des Romans ist klar: Wir müssen handeln, und zwar jetzt. Doch an manchen Stellen fühlte es sich fast wie eine moralische Predigt an – eine Schärfe, die mir persönlich weniger subtiler als notwendig vorkam. Das mag jedoch Geschmackssache sein.
Ein Buch, das hängen bleibt
Nach der letzten Seite blieb vor allem eines: das Unbehagen. "Parts per Million" ist kein Buch, das man einfach beiseitelegt und zum nächsten übergeht. Es wühlt auf, hinterlässt Fragen und lässt einen über die eigene Verantwortung nachdenken. Wie weit würde ich gehen? Wo ziehe ich die Grenze zwischen Aktivismus und Extremismus? Es ist ein Roman, der Diskussionen anregt – genau das, was gute Literatur leisten sollte.
Hannig zeigt uns eine Zukunft, die bedrohlich nah wirkt und zwingt uns, über unsere Gegenwart nachzudenken. Dabei gibt es keine einfache Lösung, keinen klaren Weg, der aus dem Dilemma führt. Es ist ein Buch, das zeigt, wie kompliziert die Realität ist, und dass moralische Gewissheiten schnell ins Wanken geraten können, wenn die Umstände sich ändern.
Fazit: Ein eindringlicher Near-Future-Thriller
"Parts per Million" ist kein Wohlfühlroman, sondern ein aufrüttelndes, beunruhigendes Stück Literatur, das uns daran erinnert, wie wichtig der Kampf um den Planeten ist – und gleichzeitig fragt, was uns dieser Kampf kosten darf. Die Handlung entfaltet sich langsam, aber stetig, bis sie in einem Finale gipfelt, das den Leser atemlos zurücklässt. Es ist ein Buch für alle, die bereit sind, über die komplexen Zusammenhänge von Politik, Klimaschutz und persönlicher Verantwortung nachzudenken.
Für mich ist "Parts per Million" nicht nur ein Thriller, sondern ein Weckruf.
7 von 10 Sternen.
Parts Per Million: Gewalt ist eine Option von Theresa Hannig
Reviewed by Darkybald
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Freitag, November 01, 2024
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