Die Schule der Nacht von Karl Ove Knausgård
Die Schule der Nacht von Karl Ove Knausgård
"Ein kalter Nebel, der bleibt – Knausgårds Meisterwerk der Verstörung"
Inhalt:
Eine winzige Insel vor der norwegischen Küste: Kristian Hadeland, erfolgreicher Künstler mit einer Karriere in London und einer bevorstehenden Retrospektive am MoMa in New York, hat sich in die Abgeschiedenheit zurückgezogen. Er will seinem Leben ein Ende setzen. »Tod und Vergänglichkeit«, das war das große Thema seines fotografischen Werks, mit dem er sich über sämtliche Regeln hinwegsetzte und in der Kunstwelt für Furore sorgte. Für diesen Ruhm ist er einen faustischen Bund eingegangen. Jetzt steht er vor den Trümmern eines rücksichtslosen Lebens und bittet um Erlösung. Möglicherweise vergeblich. Karl Ove Knausgårds neuester Roman »Die Schule der Nacht« ist Teil der großangelegten Morgenstern-Serie, die LeserInnen und KritikerInnen in der ganzen Welt begeistert. Ausgangspunkt ist das plötzliche Erscheinen eines neuen Sterns am Himmel, der unheimliche Kräfte freisetzt, sämtliche physikalische Regeln sprengt und die Menschen auf ihr Innerstes zurückwirft.
Review:
Karl Ove Knausgårds Die Schule der Nacht ist ein Roman, der wie ein kalter Nebel in den Leser einsickert – unaufhaltsam, unangenehm und am Ende erschütternd. Man mag Knausgårds Stil schätzen oder ablehnen, aber man kommt nicht umhin, ihm Respekt zu zollen: Denn was er hier auf 670 Seiten veranstaltet, ist nichts weniger als eine luzide Zerlegung des narzisstischen Künstlermythos – und zwar mit der chirurgischen Präzision eines Autors, der nicht gefallen will, sondern verstören.
Im Zentrum steht Kristian Hadeland, eine jener literarischen Figuren, die man nur lieben kann, wenn man sich selbst hasst. Arrogant, selbstverliebt, völlig empathiebefreit – ein Mann, der sich mit der Selbstverständlichkeit eines Ich-bezogenen schwarzen Lochs durch sein Umfeld fräst. Schon mit Anfang zwanzig hält er sich für ein Genie, verspürt keine Dankbarkeit gegenüber der Welt, sondern fordert sie zur Unterwerfung auf. Dass er sich mit dem Teufel einlässt, muss man nicht metaphorisch lesen – es ist eher ein strukturelles Grundmotiv: die Hybris, sich über Moral, Bindung und Maß zu erheben. Faust ist nicht mehr der tragische Gelehrte, sondern ein selbstoptimierender Instagram-Künstler mit einer Leica in der Hand und einer Leere im Herzen.
Knausgård erzählt das alles mit einer fast stoischen Ruhe. Da wird nicht gekreischt, nicht gezuckert, keine Szene künstlich aufgeblasen – was die Geschichte umso bedrohlicher macht. Denn das Unheil kommt nicht mit Paukenschlägen, sondern in Alltagssätzen daher. Die großen Fragen nach Schuld, Identität, Spiritualität, ja selbst nach dem Wesen des Bösen schleichen sich hier ein wie der Schimmel in einer schlecht gelüfteten Altbauwohnung: unsichtbar, aber durchdringend.
Es ist faszinierend, wie beiläufig Knausgård seine Themen verwebt: Fotografie als Portal zur Vergangenheit, okkulte Anspielungen auf die „School of Night“, Shakespeare und Marlowe als Schattenfiguren der literarischen Unterwelt. Und natürlich London – düster, grau, entfremdet – als Schauplatz eines inneren Exils. Wer hier auf Katharsis oder Läuterung hofft, ist verloren. Hadeland ist kein Held, auch kein Antiheld, sondern schlicht eine Zumutung. Aber eine, die man lesen muss, um zu begreifen, wie dünn der Firnis ist, der unsere Zivilisation vom moralischen Bankrott trennt.
Am Ende bleibt ein seltsames Gefühl: Verstörung, ja – aber auch Bewunderung. Denn Knausgård gelingt das seltene Kunststück, tief in die Dunkelheit zu blicken, ohne sich dabei im Pathos zu verlieren. Die Schule der Nacht ist keine angenehme Lektüre, aber eine notwendige. Eine literarische Teufelsbeschwörung, die einem noch lange nach dem letzten Satz im Nacken sitzt. Und in Zeiten wie diesen, in denen so viele Romane vor allem nett sein wollen, ist das vielleicht die größte Qualität überhaupt.













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