Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells

Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells

Titel des Buches
Seiten: 355
Verlag: Diogenes
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3257261551
Kaufen: Amazon.de
Wer nach diesem Buch unberührt bleibt, hat sein Herz verloren
Bewertung: 10/10 ⭐

Inhalt:

Jules und seine beiden Geschwister wachsen behütet auf, bis ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben kommen. Als Erwachsene glauben sie, diesen Schicksalsschlag überwunden zu haben. Doch dann holt sie die Vergangenheit wieder ein. Ein berührender Roman über das Überwinden von Verlust und Einsamkeit und über die Frage, was in einem Menschen unveränderlich ist. Und vor allem: eine große Liebesgeschichte.

Review:

Wenn Literatur ein Seismograph menschlicher Befindlichkeiten ist, dann ist Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells ein Messgerät, das mit bewundernswerter Präzision die feinen Erschütterungen aufzeichnet, die das Leben für uns bereithält. Hier wird nichts aufgeblasen, nichts dramatisiert; Wells erzählt von Verlust, Einsamkeit und der langen Reise zur Selbstfindung mit einer bewundernswerten Schlichtheit, die gerade deshalb so tief trifft.

Im Mittelpunkt steht Jules Moreau, der als jüngster von drei Geschwistern nach dem Unfalltod seiner Eltern in eine Welt katapultiert wird, die ihm jede vermeintliche Sicherheit entreißt. Zusammen mit seinen Geschwistern wird er in ein Internat abgeschoben, wo sich das Band zwischen ihnen langsam löst – ein schleichender Prozess, den Wells mit einer fast brutalen Ehrlichkeit schildert. Die Zeit verläuft in diesem Roman nicht linear; Erinnerungen tauchen auf wie Geister, oft ungebeten, oft schmerzhaft, und immer wieder scheitern die Figuren an dem Versuch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Was Wells dabei gelingt, ist eine kleine Meisterleistung: Er erschafft Charaktere, die nicht einfach Figuren auf Papier sind, sondern echte Menschen, so widersprüchlich, verletzlich und manchmal auch unvernünftig, wie Menschen eben sind. Jules, Marty, Liz, Alva – sie alle tragen ihre Wunden offen zur Schau, und genau darin liegt ihre Schönheit. Besonders berührend ist Wells’ Darstellung der Beziehung zwischen Jules und Alva, die sich irgendwo zwischen Freundschaft, Liebe und Lebenssehnsucht verortet und niemals ins Sentimentale abgleitet.

Es wäre allerdings falsch, diesen Roman als bloßes Trauerkammerspiel misszuverstehen. Vom Ende der Einsamkeit erzählt nicht nur von Verlust, sondern auch von Überlebenskunst. Trotz aller Rückschläge bewahren die Figuren einen Rest von Hoffnung, ein leises, kaum hörbares Flüstern, dass Heilung – zumindest in kleinen Dosen – möglich ist. Wells schreibt so präzise und doch so poetisch, dass man manchmal erst beim zweiten Lesen merkt, wie viel in seinen scheinbar einfachen Sätzen steckt. Keine überflüssige Metapher, kein falscher Ton stört den Fluss dieser Erzählung.

Vergleiche mit anderen großen Familienromanen drängen sich auf, aber Wells hält der Versuchung stand, seine Figuren zu Märtyrern ihrer eigenen Tragik zu stilisieren. Stattdessen zeigt er uns, wie Menschen scheitern, sich verlieren und doch wieder aufrappeln – und das ganz ohne die Effekthascherei, die so vielen anderen Romanen dieses Genres eigen ist. Vielleicht liegt gerade darin die große Kunst dieses Buches: Es weckt nicht Bewunderung für literarisches Geschick, sondern echte Empathie.

Zum Schluss bleibt mir nur, in aller Deutlichkeit zu sagen: Vom Ende der Einsamkeit ist ein Buch, das man nicht einfach liest, sondern erlebt. Wer nach 300 Seiten ungerührt die Augen zuklappt, sollte vielleicht einmal überprüfen, ob das eigene Herz nicht inzwischen auch ins Internat geschickt worden ist.

Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells Reviewed by Darkybald on Sonntag, April 27, 2025 Rating: 5

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