Briefe an einen jungen Dichter von Rainer Maria Rilke
Briefe an einen jungen Dichter von Rainer Maria Rilke
Ein Briefwechsel als Selbstgespräch der Moderne
Inhalt:
Briefe sind ebenso Mittel zur Selbsterkenntnis wie ein Weg zum Gedankenaustausch mit anderen. Nur wenige waren sich dessen so tief bewusst wie der leidenschaftliche Briefeschreiber Rainer Maria Rilke. In seinen zehn »Briefen an einen jungen Dichter«, die er in den Jahren 1903/04 und 1908 an den literarisch begabten Offizier Franz Xaver Kappus schrieb, spiegeln sich Empfindsamkeit und Weitsicht, unverbrüchliches Mitgefühl und lebendige Weisheit. Mit ihrer bewundernswerten Offenheit gehören diese Briefe zum Eindrucksvollsten und Schönsten, was je in deutscher Sprache geschrieben wurde. Ergänzt werden sie in dieser Schmuckausgabe mit Kupferprägung von den ebenso kunstsinnigen und mitfühlenden »Briefen an eine junge Frau«.
Review:
Rainer Maria Rilkes Briefe an einen jungen Dichter gehören zu jenen Büchern, die man nicht liest, sondern erfährt. Sie sind ein geistiges Destillat aus Melancholie, Demut und unbedingtem Glauben an die schöpferische Notwendigkeit. Rilke antwortet in diesen zehn Briefen an den jungen Franz Xaver Kappus nicht als überlegener Meister, sondern als Suchender, der den Weg kennt, aber selbst an dessen Steinen gestrauchelt ist.
Was diese Briefe so einzigartig macht, ist ihre Haltung: Rilke belehrt nicht, er bekennt. Er erhebt seine Stimme nicht, um zu überzeugen, sondern um zu ermutigen. „Gehe in dich selbst“, mahnt er, „prüfe, ob du schreiben musst.“ Dieser Satz, der längst zum geflügelten Wort geworden ist, enthält das ganze Ethos seines Denkens. Für Rilke entsteht Kunst nicht aus Ehrgeiz oder Geltungssucht, sondern aus innerer Not. Wer schreiben will, weil er schreiben muss, der soll es tun. Wer es nur will, um gelesen zu werden, der sollte es bleiben lassen.
Dabei zeigt sich Rilke als radikaler Verteidiger der Einsamkeit. Er fordert den jungen Dichter auf, sich von der Welt zurückzuziehen, um in der Stille zu reifen. Solitude, so begreift er sie, ist keine Flucht, sondern ein Raum, in dem Gedanken Gestalt annehmen können. Seine Worte erinnern daran, dass Kunst aus dem Schweigen wächst, nicht aus dem Lärm der Meinungen. Dass er die Kritik am Kunstwerk als etwas Fremdes, ja Zerstörerisches empfindet, ist eine jener Beobachtungen, die in Zeiten allgegenwärtiger Rezensionen und Rankings beinahe subversiv wirken.
Doch Rilke bleibt kein weltabgewandter Asket. Seine Briefe atmen eine tiefe Menschlichkeit, eine Wärme, die selbst in den dunkelsten Sätzen glüht. Wenn er über Liebe spricht, dann nicht in romantischer Verklärung, sondern mit einem Blick, der die Zukunft ahnt. Er erkennt die Gleichwertigkeit der Geschlechter, das Recht der Frau auf Selbstsein, und beschreibt eine Liebe, die nicht Besitz, sondern Begegnung ist. Solche Gedanken, formuliert im frühen 20. Jahrhundert, wirken heute erstaunlich gegenwärtig.
Freilich kann man Rilke nicht lesen, ohne Geduld. Seine Briefe sind Kreise, die sich immer enger um denselben Kern winden. Es gibt Wiederholungen, lange Atemzüge, Passagen, die sich fast selbst vergessen. Wer eine pointierte Anleitung zur Dichtkunst sucht, wird enttäuscht sein. Wer jedoch bereit ist, sich auf diesen stillen, ernsthaften Ton einzulassen, wird reich beschenkt. Denn Rilkes Sprache ist von jener leisen Intensität, die nicht argumentiert, sondern verwandelt.
Man kann diesem Buch vieles vorwerfen: seine Feier der Einsamkeit, seine fast religiöse Strenge, seine Abwesenheit von Humor. Doch alles, was an ihm schwer ist, gehört zu seiner Wahrheit. Rilke fordert vom Leser dasselbe, was er von seinem jungen Dichter verlangt: Geduld, Vertrauen, Hingabe an das Schwierige.
Briefe an einen jungen Dichter ist kein Trostbuch und kein Ratgeber, sondern eine Prüfung. Wer sie besteht, erkennt in Rilke einen Gefährten, nicht einen Lehrer. Seine Briefe sind leise Spiegel, in denen man sich selbst begegnet – und vielleicht für einen Augenblick versteht, dass das Wachsen der Seele ein stilles Geschäft ist.
Ein schmales Buch, das lange nachhallt, weil es nicht über das Leben spricht, sondern davon ausgeht, dass wir es führen.












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