Dracula. Ein Vampirroman von Bram Stoker

Dracula. Ein Vampirroman von Bram Stoker 

Titel des Buches
Seiten: 512
Verlag: Anaconda
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3730615238
Kaufen: Amazon.de
Ein Monster namens Gesellschaft
Bewertung: 7/10 ⭐

Inhalt:

Die Gestalt des Grafen Dracula ist eine der bekanntesten literarischen Figuren der Welt. Seit im Jahr 1897 der Vampirroman Dracula des irischen Schriftstellers Bram Stoker erschien, ist sie aus Literatur und Film kaum mehr wegzudenken. Besonders das Kino hat die Vampire schnell bildgewaltig für sich entdeckt – den genreeigenen Qualitäten des literarischen Originals hat dies jedoch keinen Abbruch getan. Bis heute ist Stokers Roman über den jungen Anwalt Harker und den dämonischen Untoten Dracula ein schaurig-schönes Leseerlebnis.

Review:

Bram Stokers Dracula ist eines jener Bücher, die weniger gelesen als erinnert werden, als ob der Mythos selbst das Lesen überflüssig gemacht hätte. Jeder kennt ihn, diesen bleichen Adligen aus Transsilvanien, der sich in Nebel auflöst und an Hälsen labt, doch kaum jemand weiß noch, dass Dracula weit mehr ist als der Geburtsakt einer Popfigur. Es ist ein Roman, der aus den Ängsten einer Gesellschaft geboren wurde, die gerade den Boden unter den Füßen verlor.

Das späte viktorianische England, stolz auf seine Moral, besessen von Wissenschaft und Fortschritt, ahnte zugleich, dass seine Werte zu bröckeln begannen. In dieses Spannungsfeld aus Glauben und Vernunft, aus Prüderie und Begierde, aus Kolonialstolz und Angst vor dem Fremden tritt Bram Stoker mit seinem Vampir, der in Wahrheit nichts anderes ist als ein Symbol für all das Verdrängte. Dracula ist die Nachtseite der viktorianischen Seele, ein Spiegel, in dem die feine englische Gesellschaft das sieht, was sie nicht sein darf.

Man vergisst leicht, wie modern Stokers Erzählweise war. Die Geschichte entfaltet sich in Tagebüchern, Briefen und Telegrammen, die das Grauen gleichsam aktenkundig machen. Es ist ein literarisches Kaleidoskop, das Authentizität suggeriert und doch Distanz schafft. So liest sich Dracula nicht wie ein Schauerroman, sondern wie eine Sammlung von Zeugenaussagen über ein Verbrechen, das keiner begreifen kann. Leider bezahlt Stoker diesen Einfall mit dem Preis der Monotonie. Die ständige Wiederholung, die unendlichen Beratungen seiner Protagonisten, die religiösen Exaltationen Van Helsings wirken auf heutige Leser eher unfreiwillig komisch als erschütternd.

Und doch besitzt dieser Roman einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Zwischen all der moralischen Enge, dem männlichen Pathos und den salbungsvollen Gebeten blitzt eine erstaunliche Modernität auf. Mina Harker, die „Frau mit dem Männerverstand“, ist eine der ersten Figuren, die die Grenzen der Geschlechterrollen sprengt, auch wenn sie dafür am Ende in die häusliche Tugend zurückgezwungen wird. Lucy Westenra wiederum wird zur Chiffre für die Angst vor weiblicher Sexualität. Erst als sie zur Blutsaugerin wird, darf sie begehren, und genau das ist ihr Todesurteil.

Stoker schreibt, wie ein Mann des 19. Jahrhunderts schreibt, der mehr fühlen will, als seine Zeit erlaubt. Sein Stil ist theatralisch, von Übertreibungen durchzogen, doch immer getragen von einer eigentümlichen Ernsthaftigkeit, die das Banale transzendiert. Hinter dem überlangen Plot, der zwischen Spuk und Sitzungsprotokoll schwankt, steckt eine tiefe moralische Unruhe. Es geht nicht um Vampire, es geht um das, was die Menschen zu Vampiren macht: die Furcht vor dem Anderen, die Sehnsucht nach Kontrolle, der Wunsch, das Leben zu verlängern, koste es, was es wolle.

Dracula ist kein perfekter Roman. Er ist ein hastig gebautes Monument aus Angst, Begehren und viktorianischer Selbsttäuschung. Aber er ist ein notwendiges Buch, weil er den dunklen Kern der Moderne freilegt. Dass sein Held nur selten in Erscheinung tritt, ist kein Zufall, sondern Programm. Das Unheimliche ist hier nicht der Graf aus Transsilvanien, sondern die Gesellschaft, die ihn nötig hat, um sich selbst zu erkennen.

Ein Jahrhundert später bleibt Stokers Roman ein unheimlich lebendiges Artefakt. Wer ihn liest, begegnet nicht dem Vampir, sondern dem Menschen – und das ist bekanntlich das Schrecklichste überhaupt.

Dracula. Ein Vampirroman von Bram Stoker Dracula. Ein Vampirroman von Bram Stoker Reviewed by Darkybald on Samstag, November 22, 2025 Rating: 5

Keine Kommentare