Thronerbe von Sharon Penman

Thronerbe von Sharon Penman 

Titel des Buches
Seiten: 704
Verlag: Heyne
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3453275276
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Warum Thronerbe mehr erklärt als mancher Geschichtsband
Bewertung: 7/10 ⭐

Inhalt:

England, 1147. Die Schlacht um die englische Krone tobt inzwischen seit mehr als einem Jahrzehnt. Weder Kaiserin Maude, die rechtmäßige Erbin König Henrys I., noch Stephen von Blois, ihr Cousin und erbitterter Widersacher, wollen von ihrem Thronanspruch ablassen. Doch als in einer schicksalsträchtigen Nacht Maudes Halbbruder und wichtigster Heerführer einem Fieber erliegt, gewinnt Stephens Feldzug an Fahrt. Die letzte Hoffnung ruht jetzt auf Maudes Sohn, der inzwischen zu einem echten Recken herangewachsen ist – und fest entschlossen scheint, den Thronanspruch seiner Familie ein für allemal durchzusetzen.

Review:

Manchmal öffnet man ein Buch und spürt nach wenigen Seiten, dass man nicht nur eine Geschichte liest, sondern einer Epoche beim Denken zusieht. Thronerbe gehört zu diesen seltenen Fällen. Sharon Penman führt nicht in eine romantisierte Vergangenheit, sondern in ein England, das 1147 im eigenen Fundament schwankt und in dem Politik weniger ein System ist als ein permanenter Ausnahmezustand. Die Autorin vertraut ihrer Leserschaft genug, um sie mitten in diesen Strudel zu werfen – ohne sanftes Heranführen, ohne schmückende Verklärungen, dafür mit einer erzählerischen Klarheit, die das Mittelalter so gegenwärtig erscheinen lässt, als würden wir es live übertragen bekommen.

England steht in jenen Jahren an einem Punkt, an dem Loyalität den Wert eines Rohstoffs hat und Vertrauen eine seltene Währung ist. Der Tod von Maudes Halbbruder Robert, der einzige Mann, der Chaos in Strategie verwandeln konnte, lässt die politische Landschaft endgültig kippen. Maude selbst, oft vorschnell auf ihr sprödes Auftreten reduziert, zeigt bei Penman eine Mischung aus Entschlossenheit und Verletzbarkeit, die ihr historisches Profil fast vollständig neu zeichnet. Sie weiß, dass die Krone nicht für sie bestimmt ist und kämpft dennoch weiter, weil der Kampf nun ihrem Sohn Henry gilt. In dieser Mutter, die ihr Ehrgeiz nicht zur Heiligen macht, sondern zur Figur von tragischer Konsequenz, liegt eine der stärksten Linien des Romans.

Henry, kaum zwanzig und bereits mit einem Gespür für Macht ausgestattet, das manchen erfahrenen Fürsten erblassen ließe, entwickelt sich hier vom politischen Versprechen zum ernstzunehmenden Akteur. Penman verleiht ihm jene charakterliche Unruhe, die große historische Figuren glaubwürdig macht. Die Begegnung mit Eleonore von Aquitanien, frisch geschieden und alles andere als ein dekoratives Anhängsel, wird zur Verbindung zweier Menschen, die verstehen, dass eine Ehe manchmal weniger ein romantisches Versprechen ist als eine strategische Vision. Eleonore tritt dabei nicht als sagenumwobenes Symbol auf, sondern als Frau mit Intelligenz, Eigensinn und einem Gespür für Macht, das selbst Henry gelegentlich ins Staunen versetzt.

Penman schreibt mit einer Präzision, die nie zur Trockenheit verkommt. Man spürt, dass sie die Archive kennt, aber man spürt ebenso, dass sie die Menschen versteht. Ihr England ist kein museales Diorama, sondern ein pulsierendes Geflecht aus Interessen, Hoffnungen und Fehlentscheidungen. Stephen, der amtierende König, geht in diesem Geflecht beinahe unter. Seine Freundlichkeit, eine Tugend nach moderner Lesart, wird in seiner eigenen Zeit zu seinem entscheidenden politischen Handicap. Man liest seine Szenen mit einer Mischung aus Zuneigung und Kopfschütteln, denn Penman verweigert ihm jede einfache Zuordnung zu Held oder Antagonist. Er ist ein Mann, der Gutes will und dennoch Schaden anrichtet, weil die Welt, in der er lebt, Milde als Schwäche liest.

Der Roman entfaltet seine Kraft nicht durch dramatische Spitzen, sondern durch eine kontinuierliche erzählerische Spannung, die daraus entsteht, dass Penman Geschichte ernst nimmt. Sie dramatisiert nicht, sie dramatisiert überhaupt nicht. Sie zeigt. Sie ordnet ein. Sie verleiht Gewicht. Und gerade das macht die Lektüre so fesselnd. Man begleitet Figuren, die sich ihrer historischen Bedeutsamkeit keineswegs bewusst sind, aber deren Entscheidungen uns heute noch beschäftigen, weil sie den Grundstein für eine Dynastie legen, die die englische Geschichte über Jahrhunderte prägen wird.

Am Ende bleibt der Eindruck, ein Buch gelesen zu haben, das seine Epoche nicht als Kulisse benutzt, sondern als Denkraum. Thronerbe ist ein Roman, der höfische Politik nicht als Schauplatz, sondern als Schicksalsmaschine begreift. Ein Werk, das seine Figuren ernst nimmt und seine Leser ebenso. Wer historische Literatur sucht, die nicht nur unterhält, sondern erklärt, findet hier eine seltene Form von erzählerischer Wahrhaftigkeit. Ein Buch, das den Staub der Jahrhunderte nicht wegbläst, sondern sichtbar macht. Und gerade deshalb so ungemein fesselnd wirkt.

Thronerbe von Sharon Penman Thronerbe von Sharon Penman Reviewed by Darkybald on Donnerstag, November 27, 2025 Rating: 5

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