Die elfte Stunde von Salman Rushdie

Die elfte Stunde von Salman Rushdie

Titel des Buches
Seiten: 288
Verlag: Penguin
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3328604685
Kaufen: Amazon.de
Ein stilles Feuerwerk der Endlichkeit
Bewertung: 7/10 ⭐

Inhalt:

Indien, England, Amerika – die großen Stationen in Salman Rushdies Leben bilden auch die Schauplätze seines Erzählungsquintetts, in dem er sich mit der elften Stunde des Lebens auseinandersetzt, der Zeit, in der das Leben und der Tod immer näher aneinanderrücken. Zwei streitlustige und doch unzertrennliche alte Männer, eine Musikerin, die ihre Gabe nutzt, um eine Familie zu zerstören, der Geist eines Dozenten, der sich an seinem Peiniger rächen möchte – Rushdies Erzählungen leben von ihren unvergesslichen Charakteren und gehen mit viel Weisheit den großen Fragen des Lebens nach.

Einmal mehr beweist Salman Rushdie, dass er einer der großen Schriftsteller unserer Zeit ist, indem er mit Weitsicht und Klarheit auf unsere Welt blickt, auf ihr Heute und Gestern, auf das Hier und das Dort.

Review:

Salman Rushdies „Die elfte Stunde“ ist eine Sammlung, die sich liest, als hätte ein alter Magier beschlossen, seine letzten Kunststücke nicht als triumphale Zaubershow vorzuführen, sondern als kleine, glimmende Funken – jeder von ihnen warm, scharf und mit der leisen Ahnung eines Abschieds. Wer Rushdie nur als Skandalautor oder als polternden Ironiker kennt, wird überrascht sein: Diese fünf Geschichten zeigen einen Schriftsteller, der seine eigene Sterblichkeit mit jener Unerschrockenheit betrachtet, die man gemeinhin Heiligen zuschreibt, nur dass Rushdie die Heiligen stets mit einem Augenzwinkern vom Sockel schubst.

Was diese Texte verbindet, ist nicht ihre Handlung, nicht einmal ihr Schauplatz, sondern ihr Blick. Ein Blick, der registriert, wie Menschen sich verrennen in Freundschaft und Familiensaga, in mathematische Logik und musikalische Ekstase, in Denksysteme und Dogmen, in große Ideale und kleine Selbsttäuschungen. Rushdie erzählt von alten Männern, die den Tod wie einen unzuverlässigen Handwerker erwarten; von musikalischen Wunderkindern, deren Talent zur Religion erhoben wird; von Geistern, die hartnäckiger leben als die, die sie heimsuchen; von Sprachen, die plötzlich anfangen, gegen ihre Benutzer zu rebellieren. Vieles wirkt wie Fabeln aus einer anderen Epoche, und doch blinzelt durch jede Szene jenes beklemmende Wissen, dass die Gegenwart längst grotesker ist als jede Magie.

Rushdie interessiert weniger, was seinen Figuren widerfährt, als wie sie versuchen, der Unabwendbarkeit des Verschwindens einen Funken Bedeutung abzutrotzen. Dabei vertraut er unbeirrt auf die Musikalität seiner Prosa. Seine Sätze bewegen sich wie ein Orchester, das selbst im leisesten Tremolo noch Stolz zeigt. Manchmal überzieht er die Partitur ein wenig, manchmal lässt er die Ironie zu deutlich klimpern, doch jedes Mal, wenn man meint, nun wäre es genug, schenkt er eine Formulierung, die so hell aufblitzt, dass man dafür auch die Umwege gern mitgeht. Gerade in den späten Stücken spürt man die Müdigkeit eines Erzählers, der weiß, dass das Leben sich nicht immer in perfekte Dramaturgie fügen will. Doch diese Müdigkeit ist keine Schwäche, sondern eine Art abgeklärter Zärtlichkeit.

Vor allem aber gelingt Rushdie etwas, das heute selten ist: Er zeigt, wie zerbrechlich Sprache wird, sobald Macht versucht, sie zu verdrehen, zu knebeln oder zu entleeren. Seine Geschichten erinnern daran, dass jedes Wort eine politische Entscheidung ist und dass Schweigen kein neutraler Zustand, sondern ein Risiko darstellt. In diesem Sinne ist „Die elfte Stunde“ weniger eine Sammlung von Erzählungen als ein stiller, hartnäckiger Appell: Solange Menschen sprechen, widersprechen, fabulieren und erinnern, ist die Welt noch nicht vollständig verloren.

Am Ende legt man dieses Buch mit jenem Zwiespalt aus der Hand, den große Literatur provoziert. Man fühlt sich getröstet und zugleich melancholisch, belustigt und erschüttert, ein wenig beschwingt und ein wenig beschwert. Es ist, als hätte Rushdie einem sanft auf die Schulter getippt und gesagt: Wir haben nicht mehr viel Zeit, aber wir sollten wenigstens gut erzählen, solange die Uhr noch läuft.

Die elfte Stunde von Salman Rushdie Die elfte Stunde von Salman Rushdie Reviewed by Darkybald on Samstag, November 29, 2025 Rating: 5

Keine Kommentare